Offene Drogenszene Bern (1990-1992)

Ansammlungen von Drogensüchtigen im öffentlichen Raum gibt es in Bern seit Mitte der 1970er Jahre. Nach der Schliessung des AJZ Reithalle im April 1982 bildet sich auf der Münsterplattform für längere Zeit erstmals eine offene Drogenszene. Sie wird im November 1985 geschlossen. Seither schiebt die Polizei die Drogenszene in der Altstadt hin und her, aus der Münster-, Markt- und Herrengasse (1985-1988), auf die Kleine Schanze (1988-1990), auf die Bundesterrasse (Ende 1990-März 1991) und schliesslich in den Kocherpark (März 1991-März 1992).[1] Danach verschwindet die Szene allmählich aus der Wahrnehmung der Öffentlichkeit: Unterdessen wird der repressive Zugriff auf die Junkies erfolgreich ausdifferenziert, indem neben der polizeilichen Repression ein vielfältiges Instrumentarium von sozialtechnologisch repressiven Massnahmen eingesetzt wird.

Von der Räumung der Kleinen Schanze bis zur Räumung des Kocherparks habe ich diese Geschichte für die WoZ begleitet. Publizistisch gesehen ist die Berner Drogenszene damals ein Nebenschauplatz zur viel grösseren offenen Szene Platzspitz in Zürich, die mit Bildern dramatischer Verelendung in den internationalen Medien präsent ist. Entsprechend liefere ich von Bern her mit kleineren Beiträgen eine ergänzende Berichterstattung, die mehrmals in Kästen neben Hauptgeschichten über die Entwicklung in Zürich abgedruckt wird.

Trotzdem habe ich diese meist kurzen Beiträge hier zu einem kleinen Dossier zusammengestellt. Zum einen spiegeln die Texte als Fragmente eine unterdessen weitgehend vergessene soziale Wirklichkeit, zum anderen dokumentieren sie die Phase einer drogenpolitischen Kurskorrektur. Konnte die linksalternative Subkultur bis 1992 die notorisch kriminalisierten Junkies zu widerständigen Verweigerern der kapitalistischen Leistungsgesellschaft stilisieren, änderte nun die Perspektive: Die Idealisierung von Kriminalisierten wich dem Desinteresse gegenüber ausgegrenzten Pathologisierten. Heute sind Süchtige «Drogenkranke», die ihr (qualitativ gutes) Gift als normalisierendes Medikament staatlich verabreicht bekommen.

[1] Julia Wietlisbach: Die Geschichte des Berner Fixerstübli. Masterarbeit (2013), S. 28ff.

 

Prolog

Ein Geruch wie Sommerregen. Die heroischen Jahre der Junkies. WoZ, Nr. 30 / 2000.

 

Bern 1990-1992

Das gerettete Konzept. Streit in der Drogenentzugsstation. WoZ, Nr. 9 / 1990.

Pünktliche Verelendung. Die Zustände in der offenen Drogenszene Kleine Schanze werden unhaltbar. WoZ, 46 / 1990.

Die Vertreibung. Die Szene auf der Kleinen Schanze wird geräumt. Ein klimatischer Bericht. WoZ, Nr. 49 / 1990.

Jagd auf saubere Spritzen. Die offene Drogenszene ist aufgelöst, die Junkies gibt’s noch. WoZ, 50 / 1990.

Die grob verletzte Würde der Exekutive. Der Bundesrat will keine offene Drogenszene auf der Bundesterrasse. WoZ, Nr. 15 / 1991.

Die Drogenpolitik des nächsten Winters. Nach dem Sommer wird das drogenpolitische Dilemma wieder akut. WoZ, Nr. 41 / 1991.

Die Ruhe vor dem Sturm.  Zürich will die offene Drogenszene Platzspitz räumen.  Was passiert mit dem Berner Kocherpark?  WoZ, Nr. 43 / 1991.

Skalpell statt Steinbeil. Neben der alten polizeilichen wird die neue sozialtechnologische Repression wichtig. WoZ, Nr. 45 / 1991.

Zwischenbericht der Zauberlehrlinge. Erste Trendmeldung: Sozialtechnologische Repression wirkt! WoZ, Nr. 51 / 1991.

Spitzel der Menschlichkeit. Gassenarbeit zwischen ziviler Polizeiarbeit und politischem Widerstand. – Vorwort zu einer Broschüre (Februar 1991).

Letztes Angebot: Unter den Boden. Die offene Drogenszene Kocherpark vor der Räumung. WoZ, Nr. 9 / 1992.

«Der Bundesrat hat keine blasse Ahnung.» Nationale Demonstration gegen «die bundesrätliche Drogenpolitik der Feigheit».  WoZ, Nr. 12 / 1992.

«Le Patriarche» räumt auf. Am 31. März 1992 räumt der Staat den Kocherpark und öffnet so eine Marktlücke. WoZ, Nr. 14 / 1992.

 

Epilog

Der Sündenbock vom Letten. WoZ, Nr. 20 / 1997.

Aktuell

Zum Projekt

 

Die Website «Textwerkstatt Fredi Lerch» versammelt journalistische, publizistische und literarische Arbeiten aus der Zeit zwischen 1972 und 2022, ist abgeschlossen und wurde deshalb am 15. 1. 2024 zum zeitgeschichtlichen Dokument eingefroren.

Vorderhand soll die Werkstatt in diesem Zustand zugänglich sein, längerfristig wird sie im e-helvetica-Archiv der Schweizerischen Nationalbibliothek einsehbar bleiben. Teile des Papierarchivs, das für die vorliegende Website die Grundlage bildet, sind hier archiviert und können im Lesesaal der Schweizerischen Literaturarchivs eingesehen werden.

 


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