I
Im dunkelverschachteten Quellgrund,
synapsendurchwachsen,
sickert aus Zellschotter spärlich,
vereinzelt, tropfend und glucksend
verlornes Geräusch, hallt
im Verwinkelten wider,
mischt sich allmählich mit andern
Geräuschen und formt so
die Laute, aus denen sich
Wörtergekringel spielerisch fügt
und in plätscherndem Plaudern
zum Ausgang der Höhle mäandert
ins Licht. So entspringt der Wortstrom
als munter meinendes Rinnsal.
II
Der Redefluss, der plätschert helle
im Kommunikationsgefälle
talwärts, und im Schwung des Spieles
meinen Wörter nichts und vieles.
Schlaue Menschen stauen sie
und machen daraus Energie:
Wörter, noch im Spiel verschlungen,
werden drum in Dienst gezwungen,
einzig eines zu bedeuten,
um sie derart auszubeuten:
Wenn die Sprachturbinen laufen,
kann man Wörterstrom verkaufen.
III
Immer wieder neue Pflaster, hastig
hingeklebt auf meine Wunde
Wirklichkeit: Das ist der Text.
(Ist es gesagt, sagt man,
tut’s nicht mehr weh.) Und
manchmal sickert Wundsekret
vom Pflasterrand hinunter
auf der Suche nach dem Redefluss.
Hilft das der Hoffnung, dass
die Wunde unter all den
Pflastern heilen wird?
IV
Hoch überm Wasser klammerst du dich
an «Vogel», «Versprechen», «Fisch».
Am «Vorsprung» hängst du und hangelst
dich weiter von Wort zu Wort.
Aus Furcht vor dem eignen Verschwinden
fällst du nicht früher. Warte nur,
balde fällst du trotzdem.
V
Schau, all die Weltzugewandten,
draussen im Redefluss treiben,
stolz wie frisch gewasserte Kähne:
Sie schwimmen mit törichtem Mut,
vergnügt, mit rhetorischer Grazie,
verhetzt, mit begeisterter Wut,
verschlagen, mit hämischer List,
verhärmt, in beschwerendem Leid.
Schau, wie sie rudern und sinken,
wie ängstlich sie plötzlich, wie panisch
ins grundlose Leere sie treten,
in den bodenlos fauligen Moder
aus Sprachmüll der falschen Profeten,
in den saugenden Sumpf der Gebote,
der feilen Lebenshilfen für Knechte.
Schau, wie sie gurgeln und würgen,
wie nur Vereinzelte keuchend
das Ufer erreichen und ohne den Zwang
zum Glauben mit wortlosem Blick
den Untergang andrer betrachten,
bis sie der Durst, die selber gewählte
Entsagung: das Schweigen zerstäubt.
VI
Das schweigsame Dasein hab ich
von meinen Vätern gelernt. Ich weiss:
Reden hilft nicht, hilft sicher nicht uns.
Nun sind alle Väter längst tot, und
ich führe hier Ufergespräche,
zunehmend weltabgewandt,
mit mir, denn kaum einer, hat mich
mein Leben gelehrt, bewältigt es,
ohne das Falsche zu tun. Drum
rede auch ich. Und käme ich je
aus diesem Falschen heraus:
Wo wäre ich dann?
VII
Wissen ist immer nur Stückwerk, ja:
versinkendes Treibgut im Sprachstrom,
randwärts vom Moder getrübt
und dort, wo’s nicht hinreicht,
hakt es als Ahnen ins Leere.
Wissen hat weder Anfang noch Ende.
Nur Glaube ist eins, ganz und Trost,
glauben die Gläubigen, leuchtenden
Auges blind bergwärts schwimmend,
rückwärts ins Offne getrieben:
So lächelt die Schwerkraft
über den Wahn.
VIII
Selbstvergessen steh ich oft am Ufer,
sehe wie sich breit der Strom
der endlosen Wörter wälzt; seh
wie der Sturm des Zeitenstreits
die Wasser ab und an
zu Wörterwänden türmt:
Dann fahren plötzlich
Fluten schwarz ins Land
und überschwemmen himmelhoch
was schweigt von Alters her.
Ich bleibe einer, der am Ufer
unentschieden watend
eine Furt sucht durch den Redefluss;
einsinkt bis an seine Knöchel,
selten an die Knie
und kaum je an die Hüfte,
einer, dessen Misstraun besser
weiss als ich es wissen möchte:
Schwimmen wirst du nie.
IX
Nichts ist hinter den Wörtern, kein
Bild, kein Sinn, keine Wahrheit.
Eine Handvoll von ihnen zu schöpfen,
beschäftigt das Denken;
doch rinnen sie schnell
ins verhaspelnde Irren und Raten,
verschwinden als dunstiger Hauch
im spurlos Vergessnen.
Über den Redefluss türmen
die Wörter als Schein immer neu
den Traum eines eigenen Lebens.
Doch hinter ihnen ist nichts.
X
Meerwärts murmelt der Redefluss
leise sein lügendes Ja.
Im Mündungsgebiet lagert er
spätes Bedeutungsgeschiebe
als Delta hinaus in das Meer
ununterscheidbaren Rauschens.
(Juni, bis 25. 7. 2011; 11./22. 7., 1./6. 8. 2015)