Ich bin so frei

 

I

 

Ich bin so frei, jetzt

nur noch mit mir selbst zu sprechen.

 

Zu oft hab ich mit ungefragter Sprache

ein Du gesucht und dringlich angesprochen,

mit einem Redeschwall, den man als Rauschen

höflich nickend schon im Rückzug überhörte,

wie man die Autobahn im Nieselregen überhört,

wenn man von Münsingen nach Thun der Aare folgt.

 

Aufs Alter wird es zudem würdelos, den Karawanen

nachzubellen, die auf grossen Pisten hinter

meine Horizonte ziehn, von wo sie eines Tages

wiederkehren mögen, beladen mit den Schätzen

einer Zukunft, deren Sinn ich zu erkennen

nicht mehr fähig noch gefragt bin.

 

Sich selbst allein das seinige zu sagen

ist freilich nicht sehr heldenhaft. Jedoch:

Ist nicht, was man sich selbst zu sagen fähig ist,

das Äusserste, das einem sagbar wurde?

Dies eigne Äusserste den andern zuzumuten:

Das ist der Grössenwahn von Kirchengründern.

 

Die Rede übers Selbstgespräch hinaus

ist Übersetzungsplackerei voll Kompromiss

und Missverstehn. Und ohne Druck und Zwang

wird nichts und ist noch nie etwas geworden,

wenn jemand fremdgefährdend seinem Wahn lebt,

dass das eigene Gedachte Sprache werden müsse.

 

Mag sein: Der Wahn ist unvermeidlich.

Schwingt nicht in jeder Rede, jedem Bellen

auch die Drohung: Hab mich lieb, sonst beiss ich?

Zwar bellt man schnell originell, doch sonderbar

selten wahr. Dem eignen Bellen schweigend

zu obliegen, ist menschenfreundlich paradox.

 

II

 

Und was denn sollte ich mir sagen?

            Alles! Meine Welt!

 

Und das wozu? Was ich mir sagen könnte,

ist das Einzige, das ich mit Sicherheit schon weiss.

            Eben nicht! Denn niemand weiss,

            was er schon weiss und was nicht,

            wenn ers nicht in Worte fasst.

 

Das ist absurd! Ich bin die Welt,

die ich bis jetzt erfahren habe.

Ich bin identisch mit der Welt,

die ich im besten Fall vor mir

zur Sprache bringen könnte.

            Nein. Die Welt entsteht in mir

            als Wort- und Bilderstrom, der halbbewusst

            durch meinen Tag mäandert: Wortgebröckel

            zwischen Bildfragmenten ohne klaren Sinn

            und bald vergessen, spurlos weg.

            Soweit es Menschen anbetrifft,

            ist nichts Welt als geformte Sprache.

 

Das soll der Grund sein,

mit sich selbst zu sprechen?

            Ja, das ist der Grund. Der Mensch hat nichts

            als tausend Wörter, und hinter tausend Wörtern

            keine Welt. Die Sprache ist der Trost, weltlos zu sein.

 

(Mai 2007, 22.11.2013)

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