Guido Bachmann: «bedingt entlassen»

Pünktlich zum 60. Geburtstag am 28. Januar hat Guido Bachmann den zweiten Band seiner autobiografischen Schriften herausgebracht. Während er sich im 1997 erschienen ersten Teil unter dem Titel «lebenslänglich» mit seiner Jugend auseinandersetzte, berichtet er nun über die Jobs, die er als Schriftsteller und Schauspieler immer wieder annahm, um finanziell über die Runden zu kommen. Bachmann war kurzzeitig Redaktor, Werbetexter, Pressechef, Musikkritiker, PR-Mann etc.

Jede Arbeitsstelle war für Bachmann ein «Scheitern», das er «auf dem bürgerlichen Parkett erlebt» habe: «Es war immer ein Versagen, ein Ausgleiten, ein Hinfallen auf tückischem Belag. Ein kleiner Tod allzumal.» In seiner Darstellung ist er auf der Suche nach Brotarbeiten ausschliesslich dummen, durchgeknallten oder bösartigen ZeitgenossInnen begegnet. So sarkastisch böse er im ersten Band seine Herkunft – vor allem seinen Vater – darstellte, so schildert er diesmal seine Vorgesetzten. Im Mittelteil des neuen Textes transponiert er seinen Sarkasmus auf eine metaphysische Ebene: Im Café Seeger in St. Gallen begegnet er einem alten, blinden Juden, der als ehemaliger Physiker im Alter gläubig geworden ist. Ihn erschreckt der autobiografische Ich-Erzähler solange mit seiner schroff atheistischen Weltanschauung, bis der Alte das Gespräch abbricht und das Café verlässt – worauf jener jammert: «Er hat mich sitzen gelassen.»

Bachmanns autobiografische Bücher gleichen sich: Einerseits sind die Texte zweifellos gekonnt geschrieben und komponiert, andererseits beharren sie auf jenem antiquierten Bürgerschreck-Gestus, der in den sechziger Jahren Bachmanns Publikum noch zu erschrecken vermochte («Gilgamesch»-Skandal 1966). Unterdessen macht er eher ungeduldig: Man weiss es jetzt, dass Bachmann der Meinung ist, er sei gezwungen worden, die Perle seines Lebens vor die schweinischen Mitmenschen zu werfen. Das ist zweifellos tragisch. Aber was soll man als Schwein dazu sagen?

Guido Bachmann: «bedingt entlassen». Basel (Lenos Verlag) 2000.

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Vorderhand soll die Werkstatt in diesem Zustand zugänglich sein, längerfristig wird sie im e-helvetica-Archiv der Schweizerischen Nationalbibliothek einsehbar bleiben. Teile des Papierarchivs, das für die vorliegende Website die Grundlage bildet, sind hier archiviert und können im Lesesaal der Schweizerischen Literaturarchivs eingesehen werden.

 


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