Planspiel auf dem Gaswerkareal

Zu den Journal B-Originalbeiträgen:

VIII Ausser die Menschen alles im Blick – Journal B, 28. 8. 2014.

VII Kleines Update zum Gaswerkareal – Journal B, 25. 2. 2014 (im Journal B-Archiv nicht mehr verfügbar). 

VI Neues Quartier mit Park ohne Mehrverkehr – Journal B, 10. 12. 2013.

V Deutlich sichtbare Fäuste im Sack – Journal B, 5. 11. 2013 (im Journal B-Archiv nicht mehr verfügbar).

IV Der Plan von der Terrassensiedlung – Journal B, 22. 10 2013.

III «Raumplanung kann nicht delegiert werden» – Journal B, 15. 10. 2013 (im Journal B-Archiv nicht mehr verfügbar).

II Planen «im Sinne echter Partizipation» – Journal B, 8. 10. 2013.

Das EWB soll Wohnungen bauen – Journal B, 1. 10. 2013.

  

[28.8.2014]

VIII   Ausser die Menschen alles im Blick

Die Ergebnisse der Testplanung für das Gaswerkareal liegen vor und können im Aussenhof der Ryff-Fabrik auf Schautafeln besichtigt werden. Nun gibt es zehn plausible Erkenntnisse, aber noch keine soziale Perspektive.

Drei Planungsteams haben im letzten halben Jahr für eine Pauschale von je 50’000 Franken plus Spesen Ideen entwickelt, wie das Gaswerkareal dereinst überbaut werden könnte:

• Die Bauart Architekten und Planer, Bern, schlagen eine Wohnblocksiedlung im Park vor.

• Das Harry Gugger Studio, Basel, hat eine Reihensiedlung entwickelt, die von der zähringischen Altstadt inspiriert ist.

• Das Büro MVRDV, Rotterdam, entwarf im Bereich des rechten Kopfs der Monbijoubrücke ein «gestapeltes» Dorf.

Die Erkenntnisse der Testplanung

Freilich wird keines dieser Projekte gebaut werden. Für die Auftraggeber – neben der federführenden Losinger Marazzi AG das Stadtplanungsamt, Energie Wasser Bern, das Hochbauamt und die Brückenkopf Bern AG – bedeutet diese Testplanung ein informelles Planungsverfahren, das zu Erkenntnissen und zu einem Schlussbericht zuhanden des Gemeinderats führen soll. 

Spannender als die drei Testplanungsbeiträge sind deshalb die zehn Erkenntnisse, die Alec von Graffenried als Direktor Nachhaltige Entwicklung der Losinger Marazzi AG daraus abgeleitet und am Abend des 25. August im Aussenhof der Ryff-Fabrik der anwesenden Quartierbevölkerung erläutert hat:

1. Das Gaswerkareal wird geöffnet, die bestehenden Zäune werden abgebrochen.

2. Das flussseitige Aareschutzgebiet bleibt unüberbaut, Natur- und Erholungsräume sollen erhalten werden.

3. Die verschiedenen Freiraumarten – Naturraum, Erholungsraum und urbaner Freiraum – sollen erhalten und gestärkt werden.

4. Neuer Wohn- und Arbeitsraum im Umfang der vom Gemeinderat vorgegebenen Richtgrösse von rund 50000 m2Bruttogeschossfläche ist möglich und soll am ehesten entlang von Sandrainstrasse und Monbijoubrücke entstehen. Um die Vorgabe des Gemeinderats zu erreichen, sind voraussichtlich siebenstöckige Bauten nötig.

5. Platz für die Jugendkultur soll es weiterhin geben – allerdings ist die jetzige Nutzung des Gaskessels am bisherigen Standort in Frage gestellt. Dass in einem solchen Fall gewöhnlich die Jugendkultur weichen muss, hat zum Beispiel die Schliessung der Boa-Halle in Luzern (Herbst 2007) gezeigt.

6. Die historischen Bauten auf dem Areal – Ryff-Fabrik, Fabrikantenvilla und von Gunten-Bau – sollen stehen bleiben und für öffentliche Nutzungen vorgesehen werden.

7. Auf die Schwimmhalle, die bisher als Option für dieses Areal diskutiert worden ist, wird verzichtet (Gemeinderatsentscheid vom 2.7.2014).

8. Die Sandrainstrasse soll zur Quartierstrasse gestaltet werden (Verlangsamung und Reduktion des Verkehrs).

9. Die Potentiale des westlichen Kopfs der Monbijoubrücke sollen besser genutzt und in die vorgesehene Überbauung einbezogen werden.

10. Der Raum unter der Monbijoubrücke – heute Lagerfläche – soll neu genutzt werden.

Es ist Vernünftiges, zum grossen Teil seit längerem Diskutiertes und weitgehend Unbestrittenes zusammengekommen. Kontrovers bleibt insbesondere der Gaskessel. Wegen der absehbaren Nutzungskonflikte am jetzigen Standort sehen die Planungsteams die jugendkulturellen Aktivitäten im Bereich der Brücke neben Ryff-Fabrik und Dampfzentrale, wobei sowohl die Verschiebung des Gaskessels als auch ein Neubau denkbar ist. Letzterer hätte den Vorteil, dass er massgeschneidert für die aktuellen Bedürfnisse geplant, sowie funktionaler und ökologischer als der Gaskessel betrieben werden könnte.

Räume, Volumen, Dichte, Achsen

Niemand kann sagen, diese Testplanung sei nicht sauber durchgezogen und professionell präsentiert worden. Bloss: Antworten erhält man halt nur auf jene Fragen, die man stellt. Fragt man vor allem nach Räumen, Volumen, Dichte und Achsen, dann werden die Antworten vor allem Räume, Volumen, Dichte und Achsen betreffen. In diesem Bereich sind die Eckdaten und denkbare Varianten nun bekannt.

Aber in der «Strategie Bern 2020» liest man zum Beispiel, Bern solle bis dahin «Wohnraum für 140'000 Menschen» bieten und dabei nicht nur eine wachsende, kreative, ökologische und weltoffene, sondern auch eine «soziale Stadt» sein. Und in der«Fortschreibung 2003» des Stadtentwicklungskonzepts 1995 heisst es: «Die Stadt Bern fördert ein sozial intaktes Stadtmilieu und achtet auf eine ausgewogene Nutzungsmischung und eine vielfältige soziale Zusammensetzung der Stadtquartiere.» Nimmt man solche Formulierungen ernst, müsste man auch auf dem Gaswerkareal nicht vorab von Räumen, Volumen, Dichte und Achsen, sondern zuerst einmal von den Menschen sprechen. Für wen wird das Gaswerkareal übergebaut? Für einen Mix aller Berner Haushalte oder für ein bestimmtes soziales Segment? Und falls letzteres: für welches?

Blickt man auf die Entwicklung der zurzeit angesagten Stadtquartiere, auf das Feld von Siedlungen in Brünnen oder auf die Einfamilienhaustürme in Schönberg Ost: Überall sind Tendenzen zu Segregation und zu Gentrifizierung erkennbar. Und auch die Viererfeldplanung hat bisher nicht erkennen lassen, dass eine soziale Perspektive mitgedacht würde.

Das holländische Testplanungsteam hat für das Gaswerkareal «Die Menschen und ihre Bedürfnisse» thematisiert und festgehalten: «[Unser] Entwurf zielt darauf ab, einen Dialog zwischen Stadt und Landschaft, Dichte und Offenheit, Öffentlichkeit und Privatheit, Hochhäusern und niedrigen Gebäuden, Alt und Neu, Formell und Informell zu erzeugen. Diese Nachbarschaft soll verschiedene Personengruppen mit unterschiedlichsten Bedürfnissen und Wünschen anziehen, um bestmöglich mit dem öffentlichen Charakter des Aareraums zusammenzupassen, der allen Menschen in Bern gehört.»

Ist es nicht merkwürdig, wie naiv solche Formulierungen klingen, in denen verschiedene soziale Schichten zumindest mitgedacht scheinen? Eigentlich ist es halt auch in diesem Planungsprozess von vornherein klar: Darüber, wer auf dem Gaswerkareal dereinst wohnen wird, braucht man nicht zu reden. Die Preisklasse des Wohnraums, der schliesslich gebaut werden wird, wird – so die Vorgabe – zu 30 Prozent dem wohnbaugenossenschaftlichen Mittelstand entsprechen, zu 70 Prozent demnach einer steuerkräftigen Privateigentümerschaft aus dem oberen Mittelstand. Das Übrige regelt der Markt.

Sobald der Schlussbericht der Testplanung vorliegt, geht das Geschäft an den Gemeinderat. Er wird entscheiden, wie es mit dem Gaswerkareal weiter geht. Journal B empfiehlt, die gemeinderätliche Debatte darüber mit den Fragen zu eröffnen: Ist Stadtplanung eine Wissenschaft oder eine politische Disziplin? Und: Wie unterscheidet sich eigentlich soziale von unsozialer Stadtplanung? 

 

[25.2.2014]

VII   Kleines Update zum Gaswerkareal

Neues zur Überbauungsplanung auf dem Gaswerkareal: Die Projektträgerschaft hat in den letzten Tagen die Testplanung lanciert und eine Informationsplattform aufgeschaltet. Zudem weiss man jetzt im Detail, was das Quartier will.

Auf Einladung der «Quartiermitwirkung Stadtteil 3» (QM 3) haben am 7. Dezember 2013 im Gaskessel rund siebzig Personen über eine Überbauung des Gaswerkareals nachgedacht. Jetzt liegt der detaillierte Bericht zu diesem Quartier-Brainstorming vor.

Klar ist also, dass es in den angrenzenden Quartieren keinen grundsätzlichen Widerstand gegen eine Überbauung gibt. Allerdings soll die Siedlung schwerpunktmässig im Gebiet der Monbijoubrücke und – abnehmend dicht – entlang der Sandrainstrasse geplant werden. Die Überbauung soll «städtischen Charakter» haben, «beispielhaft und eine echte Innovation» sein und «einen grossen Anteil an gemeinnützigen und günstigen Wohnungen» aufweisen.

Der Gaskessel soll erhalten und in die Planung integriert werden; der vorgeschlagenen Schwimmhalle steht man wegen des Mehrverkehrs skeptisch gegenüber (interessierte Kreisefavorisieren als Standort sowieso zunehmend das Mittelfeld).

Ein Verkehrskonzept braucht es aber auch ohne Schwimmhalle. Stossrichtung: Reduktion des motorisierten Individualverkehrs, Erhöhung des öffentlichen und des Langsamverkehrs. Im Auge zu behalten ist aus Quartiersicht «die Doppelrolle der Firma Losinger Marazzi (übernimmt Planungsaufgaben bei gleichzeitigem Verwertungsinteresse)».

Seit Mitte Februar ist die Testplanung im Gang. Interdisziplinäre Planungsteams und mehrere Architekturbüros sollen bis im Sommer 2014 soweit sein, dass die Testplanungsergebnisse in einer öffentlichen Ausstellung präsentiert werden können. Zudem hat der «Lenkungsausschuss Gaswerkareal», dem auch das Stadtplanungsamt angehört, eine Informationsplattform aufgeschaltet, die bisher die Eckdaten zum Planungsprozess bietet, aber mit vorderhand noch leeren Rubriken «Downloads» zu wachsen verspricht.

 

[11.12.2013]

VI   Neues Quartier mit Park und ohne Mehrverkehr

Was wollen die Menschen aus dem Quartier auf dem Gaswerkareal? Rund 70 Personen haben sich letzten Samstag mit dieser Frage beschäftigt: Dass überbaut wird, ist unbestritten. Die private Federführung bei der Planung hat man geschluckt.

Eingeladen hat die Quartiermitwirkung Stadtteil 3 (QM3) und gekommen sind vor allem die Meinungsmacher und Meinungsmacherinnen der angrenzenden Quartiere, wie Claudia Luder, die Leiterin der QM3-Koordinationsstelle bestätigt. Die anderen fehlten: Kaum jemand war an dieser Informationsveranstaltung nicht bereits gut vorinformiert; das Durchschnittsalter lag um die 50 und ob jemand wünsche, dass hochdeutsch gesprochen werde, musste der bemerkenswert kompetente Moderator Michael Emmenegger gar nicht erst fragen.

Dabei war die Veranstaltung wirklich informativ: Matthias Reinhard (EWB), Stadtplaner Mark Werren und Rainer Marti (Projektleiter Losinger Marazzi AG) skizzierten den Stand der Dinge: Drei Planungsteams haben unterdessen ihre Arbeit an der Testplanung aufgenommen: das (auch) in Bern domizilierte Architektur- und Planungsbüro Bauart AG, das Harry Gugger Studio, Basel und das Architekturbüro MVRDV aus Rotterdam. Bis im Sommer 2014 soll die Planung vorliegen, öffentlich wird sie im Herbst 2014, nachdem der Gemeinderat dazu Stellung genommen haben wird.

Die wichtigsten Diskussionsergebnisse

In sieben Arbeitsgruppen haben die Anwesenden danach die Ansprüche aus dem Quartier zusammengetragen und die wichtigsten Punkte in der abschliessenden Plenumsrunde präsentiert:

• Auf eine Überbauung vollständig zu verzichten und das Gaswerkareal integral als öffentliche Parkanlage zu erhalten – dies bleibt die Meinung von einzelnen. Grundsätzlich ist die Planung einer Wohnüberbauung an diesem Vormittag mehrheitsfähig.

• Vorstellen kann man sich ein neues, urbanes Stadtquartier nach dem Motto: «Park an der Aare – Stadt an der Strasse». Der aarenahe Teil soll weiterhin Freizeitort bleiben mit der Möglichkeit zur vielfältigen öffentlichen Nutzung (angeregt wird etwa eine «Auswasserungsstelle für Gummiboote»). Gewarnt wird vor einem planerischen Schnellschuss: Die Sanierung des Gaswerkbodens (bis 2015) sei das Problem der EWB, eine seriöse Planung sei etwas Anderes. Gewünscht wird eine nachhaltige Überbauung mit ausstrahlendem Charakter. Gebaut werden soll – mit Zentrum im Gebiet Sandrainstrasse/Monbijoubrücke – verdichtet, also mit Hochhäusern bis auf die Höhe der Monbijoubrücke. Genossenschaftlicher Wohnraum, «kostengünstige» respektive «erschwingliche» Wohnungen sollen eingeplant werden.

• Unbestritten ist, dass der öffentlich zugängliche Raum und die öffentliche Durchmischung auf dem Areal möglichst gross bleiben sollen. Die Bedürfnisse nach städtischem, lebendigem Quartier auf der einen und (Nacht-)ruhe und Ordnung auf der anderen Seite, stehen sich gegenüber.

• Die Verkehrsproblematik ist eine grosse planerische Herausforderung. Sinnvoll wäre ein Mobilitätskonzept mit grossem Perimeter, sobald klarer wird, was gebaut werden soll. Stichworte: «möglichst autofreie» Überbauung, «für maximal zwanzig Prozent der Personen, die hier wohnen, ein Parkplatz», «Sandrainstrasse ist grundsätzlich eine Quartier-, nicht eine Durchgangsstrasse», «bessere ÖV-Erschliessung zwingend», «mehr Liftkapazität und mehr Parkplätze im Brückenkopf der Monbijoubrücke».

• Gaskessel: Plattmachen? Am alten Standort erhalten? Oder verschieben? Die Nutzung beibehalten oder umnutzen? In den Arbeitsgruppen sind offenbar alle Positionen vertreten worden. In der Schlussrunde hat eine dezidierte Stellungnahme für den Gaskessel als Jugendzentrum gefehlt. (In diesem Punkt hat das «Chessel»-Publikum seinen Auftritt verpasst.)

• Die Idee einer 50-Meter-Schwimmhalle auf diesem Areal bleibt kontrovers: Eine Arbeitsgruppe meldete als Konsens: Schwimmhalle ja. Eine andere wegen verkehrstechnischer Bedenken ebenso einmütig: «Ein olympisches Schwimmbecken gehört nicht in dieses Areal.» Sollte die Halle auf das Areal gebaut werden, dann sieht man sie hier am ehesten unter der Monbijoubrücke.

Dranbleiben! Einklinken!

Mit den vollständigen Rückmeldungen aus den Arbeitsgruppen wird der Moderator einen Bericht mit Synthese und Fazit schreiben, der danach der QM3 zur Verfügung gestellt wird. Auf diesen Bericht wird man sich beziehen können, wenn es darum geht, die Interessen der umliegenden Quartiere gegen die politischen der Stadt und die ökonomischen des EWB und der Losinger Marazzi AG weiterhin im Spiel zu halten.

Denn, nicht wahr: Eigentlich haben QuartiervertreterInnen 2012/13 ja bereits am sogenannten Workshop-Verfahren zur Planung des Gaswerkareals teilgenommen. Hätten sie sich danach im «Synthesebericht Workshop-Verfahren» von Losinger Marazzi abgebildet gefunden, hätte man diese Veranstaltung im Gaskessel gar nicht durchzuführen brauchen. Es lohnt sich zweifellos für alle Interessierten, aufmerksam und weiterhin dran zu bleiben – respektive sich jetzt einzuklinken.

 

[5.11.2013]

V   Deutlich sichtbare Fäuste im Sack

Eine Veranstaltung des Architekturforums Bern zeigt: Es gibt einen plausiblen Grund, warum auf dem Gaswerkareal die Losinger Marazzi AG Stadtplanung macht: Profitmaximierung dient auch dem Steuersubstrat. Und: Alle finden das Vorgehen der Stadt daneben. Alle? Nein! Einer steht zu Tschäppät!

Was die Planung auf dem Gaswerkareal anbetrifft, ist Berns rotgrüne Regierung drauf und dran, sich lächerlich zu machen. So viel ist klar nach der Fachveranstaltung «Greencity Manegg – Vorbild für die Planung Gaswerk?» Kein einziges Votum gab es, das das Vorgehen der Stadt, auf dem Gaswerkareal die Totalunternehmerin Losinger Marazzi AG federführend Stadtplanung machen zu lassen, gutgeheissen hätte (ausser einem, wir kommen gleich dazu). Und dies, obschon rund 120 Interessierte, grossenteils Fachleute, ins Kornhausforum gekommen sind.

Losinger Marazzi auf dem Zürcher Manegg-Areal

Vorab berichtete Andreas Wirz, Architekt und Vorstandsmitglied der «Wohnbaugenossenschaften Zürich», über das Zürcher Grossüberbauungsprojekt Manegg. Interessant sind die Parallelen zum Gaswerkareal: Auf einer der letzten grossen Industriebrachen der Stadt sollen mit einer Grossüberbauung Wohn-, Büro- und Gewerbeflächen realisiert werden; federführend auch dort: die Losinger Marazzi AG. Und interessant sind auch die Unterschiede: In Zürich ist es dank politischem Druck gelungen, dass 30 Prozent des Wohnanteils für gemeinnützige Wohnbauträger reserviert werden – und dies, obschon der Totalunternehmerin dort mehr als die Hälfte des Boden gehört. Unterdessen planen auf dem Manegg-Areal vier verschiedene Wohnbaugenossenschaften rund 230 Wohnungen. Eine Erfolgsgeschichte.

«Ein Leuchtturmprojekt» sei das trotzdem nicht, hat Wirz selbstkritisch ausgeführt. Die Genossenschaften dürften zwar drei Baufelder überbauen, aber weitergehend sei nicht erwünscht, dass sie bei der Gesamtplanung mitredeten: «Heutzutage baut eben kaum jemand Häuser, weil er ein Interesse hat an der Stadtentwicklung oder am Wohnungsbau. Häuser sind Vehikel, um Geld zu verdienen. Das macht viele Diskussionen schwierig oder überflüssig. Besser heisst immer: mehr Geld. Da stören soziale Aspekte bloss.»

Alles im Dienst des Steuersubstrats

Man kann also auch in Bern wissen: Über der Planung auf dem Gaswerkareal steht die Maxime: «Besser heisst immer: mehr Geld», rotgrüne Regierung hin oder her. In erfrischender Direktheit hat hierzu der Stadtwanderer auf dem Podium, Benedikt Loderer, das Nötige gesagt: «Ich kann Ihnen schon sagen, was Berns Regierung hier will: das Steuersubstrat der Stadt verbessern. Ende der Diskussion.» Anders: Je mehr und aufwendiger auf dem Gaswerkareal gebaut wird (Interesse des Totalunternehmers), desto mehr gute Steuerzahler werden dort wohnen, hofft die Stadtregierung. Darum überlässt sie gegen die Interessen der Quartiere, gegen fachliche und politische Einwände jenem Privaten die Planung, der dieses Interesse bedient. Dummerweise stimmt die Rechnung, dass Profitmaximierung das Steuersubstrat optimiere, nicht: Pro Hektare Boden generieren Breitenrain- oder Länggass-Quartier, wo Leute mit Lohnausweisen in Mietwohnungen leben, mehr Steuern, als das Kirchenfeldquartier. Aber alles kann die Stadtregierung auch nicht wissen.

Wie könnte man denn den Planungsprozess auf dem Gaswerkareal anders aufgleisen? Verena Berger, Co-Präsidentin des Schweizerischen Werkbunds, Ortsgruppe Bern, ging auf dem Podium davon aus, dass Bern faktisch über das ganze Areal verfüge (bei der EWB-Parzelle hat die Stadt das Vorkaufsrecht). Darum ist für sie klar: «Die Stadt müsste bei der Planung den Lead übernehmen. Es ist an der Stadt, eine Auslegeordnung zu machen, Kriterien und mögliche Baufelder zu definieren. Erst danach kommt der Wettbewerb, unter den Planenden und unter den Investoren. Durch das jetzige Vorgehen, Losinger Marazzi planen zu lassen, gerät die Stadt unter Druck.» Nämlich: Um nicht mit leeren Händen dazustehen, wird sie das Planungsergebnis der Totalunternehmerin voraussichtlich als Fait accompli akzeptieren.

Und noch etwas sagte Berger: «So wie ich die Regeln von Wettbewerb und Projektvergabungen verstehe, ist beim jetzigen Vorgehen die Losinger Marazzi AG 'vorbefasst', das heisst, bei späteren Wettbewerben nicht mehr zuzulassen.» Tatsächlich sagt der Artikel 24 der kantonalbernischen Verordnung über das öffentliche Beschaffungswesen: «Die AuftraggeberInnen schliessen AnbieterInnen von der Teilnahme am Verfahren aus, welche [a] an der Vorbereitung der Unterlagen oder des Vergabeverfahrens derart mitgewirkt haben, dass sie die Vergabe zu ihren Gunsten beeinflussen können [...].»

Am Schluss hat aus dem Publikum heraus der Stadtplaner Mark Werren das Wort ergriffen. Er hielt fest, es sei halt einfach ein «Fakt», dass er den Auftrag, bei der Planung auf dem Gaswerkareal «eine hoheitliche Rolle wahrzunehmen», nicht bekommen habe, und daraus müsse das Stadtplanungsamt nun eben das Beste machen. Im übrigen: «Ich möchte hier nicht auf das Gaswerkareal eintreten, die Planung dort gefällt mir auch nicht als Prozess.» Werrens offenherziger Auftritt hatte etwas Berührendes: Er sprach mit der Integrität eines Machtlosen, der der gleichen Meinung wäre wie alle anderen, wenn er bloss dürfte.

Ein fehlendes und ein überflüssiges Votum

Aus den Voten zu schliessen, war man sich einig: Was auf dem Gaswerkareal abgeht, ist daneben. Man sah sozusagen Dutzende von geballten Fäusten, die allerdings tief in den Taschen vergraben blieben. Ein bisschen gefehlt hat zum Beispiel ein Statement, das ungefähr so hätte lauten können: «Wir sind uns offenbar einig, und hier im Raum sind viele kluge Köpfe: Nein denken genügt nicht! Die Stadt mischelt auf dem Gaswerkareal mit einem Privaten, gut. Aber sind wir nicht auch Private, die etwas zu sagen haben, wenn es um öffentlichen, also unseren Boden geht? Warum bilden wir nicht ein Team, das mit Betroffenen und Interessierten eine alternative, ergebnisoffene Planung auf die Beine stellt? Und wenn die Stadt pfeift, um ihre Planung 'von oben' vorzustellen, veranstalten wir im Gaskessel oder in der Dampfzentrale ein kulturpolitisches Happening und stellen die Planung 'von unten' vor.» Oder so.

Schliesslich war ein Votum zwar überflüssig, möchte hier aber gern erwähnt sein. Es stammte vom einzigen, der solidarisch das rote Fähnchen des zuständigen Gemeinderats Alex Tschäppät hochhielt: vom grünen Nationalrat Alec von Graffenried, von Beruf Direktor Immobilienentwicklung Mitte bei der Losinger Marazzi AG. Kaum war die Diskussion für das Publikum offen, liess er sich das Mikrofon in die Hand drücken, stürmte mit sehr gesundem Selbstbewusstsein die Bühne und begann ungeniert, mit seinen Treuherzigkeiten für andere die Redezeit zu blockieren (bis ihm ein Veranstalter ziemlich deutlich signalisierte, es reiche).

Über das, was er sagte, sei der Schleier des Vergessens gelegt. Es war von jener latenten Peinlichkeit, die entsteht, wenn ein Lohnabhängiger meint, seinen Arbeitgeber gut aussehen lassen zu müssen. In gewissen Situationen wirkt Übereifer einfach kontraproduktiv.

 

[22.10.2013]

IV   Der Plan von der Terrassensiedlung

Es gibt ein einfaches Argument, warum es falsch ist, die Totalunternehmerin Losinger Marazzi AG federführend planen zu lassen: Die Sandrainstrasse hat zwei Seiten. Ein Gedankenspiel mit zwei Schlüssen.

Nach dem Entscheid der Stadtregierung über den nächsten Planungsschritt auf dem Gaswerkareal hat Journal B nachgefragt: Zuerst in den betroffenen Quartieren Marzili und Sandrain, wo man sich übergangen fühlt; danach bei drei Berufsverbänden von Planern, Architekten und Ingenieuren, die fordern, die Stadt müsse bei einer solchen Planung die Federführung übernehmen.

Klar: Die Quartiere sind zur Partizipation eingeladen worden und haben mitgeredet (wo steht geschrieben, dass man ihnen auch zuhören werde?). Und klar: Die Fachleute sind allesamt Kleingewerbler und also missgünstig; wären sie in der Rolle der Losinger Marazzi AG, würden sie anders reden.

Diese Einwände sind nicht ganz falsch. Darum muss, wer behauptet, Stadtplanung sei nicht delegierbar, die Frage beantworten: Warum nicht?

Als Stadtplaner-Stagiaire unterwegs

Geht man von der Tramstation Sandrain in der langgezogenen Linkskurve die Sandrainstrasse hinunter, so kommt man zuerst durch beidseits lückenlos bebautes Gebiet. Bei der Abzweigung Lindenaustrasse, die zum Schönausteg hinunter führt, öffnet sich rechts das Gelände Richtung Aareufer: Zuerst folgt der Sportplatz Schönau, danach die teilweise bewaldete Fläche des Gaswerkareals.

Auf der linken Strassenseite bricht die Reihe der Wohnhäuser ungefähr auf der Höhe des Jugendzentrums Gaskessel mit der Hausnummer 30 ab. Es folgen ein Rasenstreifen, durch den ein geschwungener Fussweg über die Geländestufe aufwärts führt, und ein etwa 150 Meter langer, waldartiger Baumbestand, der den ganzen Abhang bedeckt. Stadteinwärts danach das Haus mit der Nummer 18a.

Als Laie denkt man: Der Einbezug dieses bewaldeten Streifens in die Planung würde zweifellos einen Beitrag zur Schonung des Gaswerkareals leisten, wenn denn hier tatsächlich 50'000 Quadratmeter Bruttogeschossfläche Wohnraum gebaut werden sollen, wie die Stadtregierung es will. Geplant werden könnten hier entweder Häuserblocks beidseitig der Sandrainstrasse oder ein Strassentunnel, über den eine Terrassensiedlung gebaut werden könnte.

Einwand eins! Der Boden auf der Seite des Gaswerkareals gehört dem EWB. Wenn sich das EWB nicht für die andere Strassenseite interessiert, muss man auch nicht über sie reden. – Falsch! Für die EWB-Parzelle verfügt die Stadt Bern über ein «reglementarisches Vorkaufsrecht». Wenn die Stadt will, bestimmt sie, nicht das EWB.

Einwand zwei! Der Wald ist geschützt und darf nicht gerodet werden. – Doch! Laut stadtbernischem Zonenplan liegt der bewaldete Streifen in der Wohnzone. Auch die fehlenden Strassennummern 28, 26, 24, 22 und 20 weisen darauf hin, dass hier die Fachleute schon früher mit weiterem Häuserbau gerechnet haben.

Einwand drei! Man weiss ja nicht einmal, wem Fussweg und Wäldchen gehören. – Doch! Der Streifen tangiert vier Parzellen. Die Parzelle 675 mit dem Fussweg gehört der Einwohnergemeinde Bern. Die anschliessenden bewaldeten Parzellen 3216, 3215 und 3156 gehören der Wohnbaugenossenschaft Pro Domo Bern, die unter anderem oberhalb dieser Geländestufe, an der Bürenstrasse Wohnblocks besitzt – insbesondere für Bundespersonal. Präsident des Genossenschaftsteils an der Bürenstrasse ist Urs Spicher, der auf klare Fragen klare Antworten hat.

Gehören diese Parzellen der Genossenschaft Pro Domo, oder nutzt sie sie bloss im Baurecht?

Urs Spicher: Die Parzellen sind im Eigentum der Genossenschaft.

Hat die Genossenschaft für den Waldstreifen irgendwelche Überbauungspläne?

Nein. Wir werden in den nächsten Jahren genug damit zu tun haben, unsere Wohnblöcke aus dem Jahr 1947 zu renovieren.

Hat im Zusammenhang mit der Planung auf dem Gaswerkareal das Stadtplanungsamt je Kontakt aufgenommen mit Pro Domo?

Nein.

Gab es Kontakte mit dem EWB oder mit der Losinger Marazzi AG?

Nein, keine.

Angenommen, das Stadtplanungsamt würde sich bei Pro Domo melden und sich für die Überbauung der bewaldeten Teile der Parzellen interessieren: Was würden Sie dazu sagen?

Ich persönlich gar nichts. – Die Grundstücke der Genossenschaft sind grundsätzlich unverkäuflich. Zu ändern wäre das nur in Rücksprache mit dem Bundesamt für Bauten und Logistik und nach einer Statutenänderung durch die Generalversammlung der Genossenschaft.

Soweit die Aussagen von Urs Spicher.

Wer schützt die öffentlichen Interessen?

Zwischenhinein habe ich an diesem Tag immer ein bisschen an der von mir favorisierten Terrassensiedlung gezeichnet: Wie ein Urbanitätsdelta mäandert meine Siedlung über den neuen Sandrain-Strassentunnel hinunter und auf das Gaswerkareal hinaus; in lockerer, unregelmässig durchbrochener Struktur, durchsetzt mit Fensterfronten, Strauchgrün und einigen kleinen Gemeinschaftsplätzen auf verschiedenen Etagen.

Bevor ich die Frage klärte, wohin der Gaskessel in Richtung «Kreativcluster» im Bereich der Monbijoubrücke verschoben werden könnte, habe ich für diesmal Feierabend gemacht. Mein Tag als autodidaktischer Stadtplanungs-Stagiaire hat mir aber immerhin folgendes klar gemacht: Es gibt einen fachlichen und einen politischen Grund, warum die Federführung bei der Planung auf dem Gaswerkareal – im Sinn der eben eingereichten GB/JA!-Motion – zurück zur Stadt muss:

1. Unter dem stadtplanerischen Blickwinkel ist es falsch, eine Arealentwicklung zu befürworten, die an der Grenze des EWB-Grundeigentums aufhört. Die Sandrainstrasse hat zwei Seiten. Stadtplanung ist nicht Parzellenoptimierung, sondern Optimierung eines nicht eigentumsrechtlich begrenzten räumlichen Kontexts. Die Marazzi Losinger AG steht schon deshalb vor einer nicht lösbaren Aufgabe, weil sie auf eine falsch gestellte Frage keine richtigen Antworten finden wird.

2. Politisch gesehen gibt es richtig und falsch nur in Bezug auf vorausgesetzte Interessenlagen: Die vom Gemeinderat auf dem Gaswerkareal geschützten Interessen sind die privaten des EWB (möglichst kostengünstige Sanierung der Altlasten im Boden) und der Losinger Marazzi AG (Privilegierung als Totalunternehmerin mit der Option, später das EWB-Areal im Baurecht zu übernehmen und als Bauunternehmung das Siegerprojekt des Architekturwettbewerbs zu realisieren). «Wir sind trotzdem ergebnisoffen», hat die Firma Berns Öffentlichkeit schon vor längerem beruhigt (Berner Zeitung, 12. Dezember 2012).

Auch eine bürgerlich dominierte Stadtregierung, die private so klar vor öffentliche Interessen stellen würde, müsste sich fragen lassen, in wessen Dienst sie steht. Höflich erinnert Journal B die aktuelle Stadtregierung deshalb hiermit daran, dass ihre rotgrüne Mehrheit einer ebensolchen in der Bevölkerung entspricht, die erwartet, dass in dieser Stadt rotgrüner Politik zum Durchbruch verholfen wird.

 

[15.10.2013]

III   «Raumplanung kann nicht delegiert werden»

Der Totalunternehmer Losinger Marazzi plant auf dem Gaswerkareal weiterhin federführend. Drei Berufsverbände von Architekten, Ingenieuren und Planern nehmen kritisch Stellung zu diesem Entscheid des Berner Gemeinderats.

Der Gemeinderat hat über das weitere Planungsvorgehen auf dem Gaswerkareal entschieden. Seither wissen die Quartierorganisationen, was bei dieser Planung unter «echter Partizipation» verstanden wird. Aussen vor bleiben Berns Architekten, Planer und Ingenieure. Was sagen sie, wenn man sie fragt?

Journal B hat Kontakt aufgenommen mit den Berner Sektionen von drei Schweizerischen Berufsverbänden: dem Bund Schweizerischer Architekten (BSA), dem Fachverband Schweizerischer Raumplaner (FSU) und dem Schweizerischen Ingenieur- und Architektenverband (SIA). Alle drei Sektionsleitungen wurden gebeten, Stellung zu nehmen zu folgenden Aussagen aus dem Planungsbericht der Losinger Marazzi AG:

«Der Gemeinderat von Bern hat entschieden, auch in einer weiteren Planungsphase auf dem Gaswerkareal – jener der Testplanung – die Federführung beim EWB, das heisst operativ bei der Totalunternehmerin Losinger Marazzi AG zu belassen. Gleichzeitig setzt er die geltende Aareraumplanung von 2008 – wonach 'der Aareraum eine durchgehende Parklandschaft vom Flusslauf bis zur Hangkante' sei –, faktisch ausser Kraft und schlägt die Prüfung von Wohnungsbau 'in relevantem Mass' vor (bis zu 50000 Quadratmeter Bruttogeschossfläche).»

BSA: «Politisch ungeschickt»

«Stossend an der Planung ist, dass die Initiative nicht von der Stadt aus kam, sondern von Seiten Investor und Generalplaner. Dementsprechend konnte die öffentliche Hand nur reagieren, aber nicht agieren. Dass die Losinger Marazzi AG heute federführend für die Testplanung ist, ist politisch ungeschickt. Der Entscheid und die Verantwortung dafür sind ganz klar beim Berner Gemeinderat.

Die strategische Stadtplanung muss durch das Stadtplanungsamt wahrgenommen werden können. Dafür muss ein entsprechendes Budget vorhanden sein, ansonsten ist es nicht verwunderlich, wenn private Trägerschaften die politisch produzierte Schwäche ausnutzen und dort akquirieren, wo reelle Gewinnaussichten bestehen.

Aufgabe der Regierungen und der Parlamente von Stadt und Kanton ist es, solche potentiellen Terrains zu orten und von sich aus die Themen zu setzen, Verantwortungen wahrzunehmen und zu verteidigen, so dass bestehende Raumplanungsentscheide nicht einfach über Bord geworfen werden. Raumplanung kann nicht delegiert werden. Wer sich das nicht hinter die Ohren schreibt, muss sich nicht verwundern, wenn der soziale Zusammenhalt der Gesellschaft finanziellen Interessen untergeordnet wird.»

(Oliver Schmid, Bund Schweizerischer Architekten, Obmann der Ortsgruppe Bern)

SIA: «Leitung muss in der Hand der Stadt liegen»

«Die Umstände zur Planung des Gaswerkareals sind hinlänglich bekannt. Die Randbedingungen bezüglich Eigentums und vor allem die Notwendigkeit der Sanierung sind auch nicht Neuland. So mutet es doch etwas eigenartig an, wenn die zuständigen Stellen heute von Dringlichkeiten sprechen und die Organisation der Planung scheinbar dieser Dringlichkeit untergeordnet wird.

Nicht, dass die beauftragten Stellen diese Aufgabe nicht bewerkstelligen könnten – allerdings sollte die Stadt die öffentlichen Interessen klar verteidigen. Aus Sicht der Planerverbände muss die Leitung eines Projektes mit einer so einschneidenden Wirkung klar in der Hand der Stadt liegen und die Interessenabwägungen übergeordnet erfolgen.

Die finanziellen Interessen im Hinblick auf die Deckung der Kosten sind offensichtlich und das Bestreben, eine möglichst dichte Verbauweise zu erwirken, sind nicht von der Hand zu weisen.

Die Stadt soll und muss ihre Rolle als Wächter der öffentlichen Interessen wahrnehmen. Nur so gelingt es aus diesem für die Stadt so zentralen Bereich einen für alle Beteiligten wertvollen Raum optimal zu nutzen.

Dafür sind aber gut und stark besetzte Ämter notwendig, die über die notwendigen Kapazitäten verfügen. Nur so ist eine sinnvolle Stadtplanung überhaupt möglich.

Ein Resultat der zu heftigen Sparpolitik? Die Resultate werden es weisen. Fakt ist, dass Investoren sich die Kapazitäten und Kompetenzen für die Entwicklung von Projekten geben. Es liegt an der Stadt, im Sinne der Allgemeinheit die nötigen Ressourcen für eine gute und sinnvolle Stadtentwicklung bereitzustellen.»

(Sara Montani, Schweizerischer Ingenieur- und Architektenverband, Präsidentin der Sektion Bern)

Weiter schreibt Kaja Keller, Co-Präsidentin des FSU Mittelland: «Der Vorstand des FSU Mittelland unterstützt die Stellungnahme des SIA betreffend Gaswerkareal.»

Wir bleiben dran!

 

[8.10.2013]

II   Planen «im Sinne echter Partizipation»

Die Losinger Marazzi AG hat in den letzten Tagen ausgewählten AdressatInnen einen «Synthesebericht» zur Planung auf dem Gaswerkareal zugeschickt. Die Positionen des Sandrain- und des Marziliquartiers sucht man darin vergebens.

Manchmal funktioniert Demokratie wie am Schnürchen! Am 18. September 2013 hat der Gemeinderat über das weitere Vorgehen auf dem Gaswerkareal entschieden. Das Stadtplanungsamt erhielt den Auftrag, den Grundeigentümer des Areals, das EWB, schriftlich über den Entscheid zu informieren. Das ist laut Stadtplaner Mark Werren im Lauf des 23. Septembers geschehen.

Und siehe da: Bereits mit Datum vom 30. September verschicken das EWB und die Losinger Marazzi AG einen gedruckten «Synthesebericht Workshop-Verfahren 2012/13 Kurz-Version / September 2013», in dem zu lesen ist: «Losinger Marazzi AG nimmt als private Entwicklungspartnerin die inhaltliche und prozessuale Verantwortung bis zum Vorliegen einer Planungsvorlage wahr.»

Weil diese Firma von ihrem Glück ja erst seit der Briefkastenleerung am 24. September wissen kann, muss die Berner Öffentlichkeit neidlos zugeben: Bei der Produktion von Hochglanzbroschüren ist sie flink. Am 2. Oktober war die Publikation in den Händen der Teilnehmenden an den Workshops, die dem aktuellen Planungsstand vorausgegangen sind.

In das Vorwort des Berichts teilen sich Stadtplaner Mark Werren, EWB-CEO Daniel Schafer und Alec von Graffenried, Direktor Nachhaltige Entwicklung bei der Losinger Marazzi AG. Letzterem ist darin der wirklich schöne Satz gelungen: «Nachhaltig ist es, gemeinsam mit allen Projektbeteiligten und Interessengruppen neue Quartierstrukturen zu entwickeln und die Betroffenen, im Sinne echter Partizipation, mit einzubeziehen.»

Was man im Sandrain-Quartier sagt

Eine kleine Enttäuschung muss allerdings hinnehmen, wer den Bericht durchliest: Der Wille der Leute aus dem Sandrain- und dem Marziliquartier, die laut einer vorliegenden «Teilnehmerliste» am 3. Workshop doch unzweifelhaft und zweifellos ehrenamtlich «partizipiert» haben, sucht man vergebens. Haben die alle nur still zugehört? Oder haben sie zwar etwas gesagt, aber kein einziges vernünftiges Argument, das die Redaktion des «Syntheseberichts» mindestens hätte erwähnen können?

Hansjörg Ryser ist Präsident des Quartierleists Schönau-Sandrain und kann belegen, dass es anders ist. Der Vorstand des Leists hat nach dem dritten Workshop mit Datum 7. Februar 2013 zehn «Thesen zur Planung altes Gaswerkareal» verabschiedet. Dieses Dokument wurde damals sowohl an das Stadtplanungsamt als auch an die Projektleitung der Losinger Marazzi AG geschickt.

Niemand, der diese Thesen liest, wird sagen können, sie seien nicht sachlich, fundiert und substantiell. Nehmen wir nur das Stichwort Wohnraum, weil nach dem Willen des Gemeinderats deswegen ja die städtische Grundordnung geändert und Wohnraum im Umfang von bis zu 50'000 Quadratmetern Bruttogeschossfläche gebaut werden soll.

Hier postuliert das Papier des Leists gleich in These 1 einen Mix von «Genossenschaftswohnungen, Alterswohnungen und erschwinglichen Familienwohnungen, also nicht nur Wohnungen im 'gehobenen Segment'». Die These 2 regt an, platzsparend in die Höhe zu bauen und den Wohnungsbau beim Kopf der Monbijoubrücke zu zentrieren, um «das letzte nicht-überbaute, grosszügige Freizeit- und Naherholungsgebiet» der Stadt für «zukünftige Generationen» bestmöglich zu erhalten. Argumente von geradezu purlutterer stadtplanerischer Vernunft, die man im «Synthesebericht» gerne in diesem Wortlaut gelesen hätte.

Zweifellos wäre das Papier des Leists für die zuständigen Fachleute Pflichtlektüre. Bedauerlich deshalb, dass weder die Projektleitung der Losinger Marazzi AG – in diesem Fall etwas weniger flink – noch das Stadtplanungsamt bisher Zeit gefunden haben für eine Stellungnahme zu den Anliegen des Standortquartiers.

Was man im Marzili-Quartier sagt

Auch die Raumplanerin und SP-Stadträtin Gisela Vollmer hat als Vertreterin des Quartiervereins Marzili sehr wohl Argumente.

• Erstens: «Wir wollen auf diesem Areal keine Schwimmhalle, weil es auch nach Ansicht der städtischen Verkehrsplanung für den Öffentlichen Verkehr schwierig zu erschliessen ist.» (Hier gibt es übrigens eine Differenz zur These 6 des Schönau-Sandrain Leists: Dort wird der Bau der Schwimmhalle als möglich bezeichnet, wenn gleichzeitig der Durchgangsverkehr auf der Sandrainstrasse eliminiert und der Öffentliche Verkehr «deutlich» ausgebaut wird.)

• Zweitens: «Wir haben uns gegen die Verlegung der Marzili-Schule aufs Gaswerkareal gewehrt.» Diese Verlegung ist vom Tisch und zwar weil die Stadt unterdessen einen Weiterausbau der Schule am bisherigen Standort plant.

• Drittens: In Übereinstimmung mit dem Sandrainquartier ist man im Marzili der Meinung, das Gaswerkareal sei «vor allem öffentlicher Raum». Darum müsse der Wohnungsbau – in Übereinstimmung mit der Aareraumplanung 2008 – an der Strasse konzentriert werden. Konkret sei, so Vollmer, eine Wohnüberbauung beidseits der Sandrainstrasse und ihre Umfunktionierung von der Durchgangs- zur Quartierstrasse zu prüfen. Diese Variante hat der «Synthesebericht» vergessen zu erwähnen.

Partizipation in der Praxis

Gisela Vollmer hat den zugesandten Bericht durchgesehen und stellt fest: «Er spiegelt die Meinungen der Workshops nicht, insbesondere nicht die Aussagen, die von den Quartieren her klar formuliert worden sind.»

Hansjörg Ryser sagt: «Der Meinungsbildungsprozess in den Workshops war anregend und aufschlussreich. Aber die Standpunkte waren sehr heterogen – bei den unterschiedlichen Hintergründen der gut fünfzig Teilnehmenden keine Überraschung. Vor allem ist im Plenum nie eine eigentliche Schlussverlautbarung diskutiert worden. Darum konnte man aus den Workshops die unterschiedlichsten Folgerungen ableiten.»

Diese Folgerungen hat nun die Marazzi Losinger AG nach Public-Relations-Überlegungen formuliert. Verständlich: Immerhin sollte mit dem Getexteten ein rotgrün dominierter Gemeinderat überzeugt werden. Vollmers Resümee nach der Lektüre: «Die Kurzfassung des Berichts hat die Konsistenz eines Luftballons.»

Vor dem Hintergrund dieser Kritik zeigt sich die zukunftsweisende Qualität des PR-Tons, den im «Synthesebericht» der Vorwortautor Alec von Graffenried so bewundernswürdig anschlägt: «Dieser Dialog war für uns als Immobilienentwicklerin sehr spannend.»

 

[1.10.2013]

I   Das EWB soll Wohnungen planen

Der Gemeinderat hat entschieden: Das Gaswerkareal in Bern soll in «relevantem Mass» mit Wohnungen überbaut werden. Das ist ein Paradigmenwechsel. Und die Losinger Marazzi AG organisiert die Testplanung. Das ist ein Ärgernis.

«Wer betreibt eigentlich Stadtplanung in dieser Stadt?», fragt die Gesellschaft für Stadt- und Landschaftsentwicklung (SLG) in ihrem Jahresbericht 2012/2013. Anlass zu dieser Frage gibt ihr die Fachveranstaltung, die sie selber am 16. April 2013 unter dem Titel «Gaswerkareal – Brache, Freiraum oder Wohnort der Zukunft?» durchgeführt hat.

Die Ankündigung war spannend: Redner war unter anderen Alec von Graffenried als Vertreter der Losinger Marazzi AG. Im Auftrag der Grundeigentümerin des Gaswerkareals, der «Energie Wasser Bern» (EWB), hatte diese Firma die Arealentwicklung vorangetrieben und in diesem Zusammenhang 2012 drei Workshops durchgeführt. Das Publikum erwartete deshalb Neues zu dieser Planung.

Die Veranstaltung war dann eine Enttäuschung: Neues war nicht zu erfahren, sondern lediglich, dass Losinger Marazzi dem Gemeinderat einen Schlussbericht zum Workshopverfahren zugestellt habe, weshalb der Ball nun dort liege. Seither herrschte einen Sommer lang Funkstille.

Die Stadtregierung beschliesst das weitere Vorgehen

Am 18. September hat der Gemeinderat nun das weitere Vorgehen beschlossen: Er gab grünes Licht für die nächste Phase, die Testplanung. Damit beauftragt hat er nicht das für die Entwicklung des öffentlichen Raums zuständige Stadtplanungsamt, sondern die Grundeigentümerin EWB und damit die Totalunternehmerin Losinger Marazzi AG, der niemand die fachliche Kompetenz, aber auch nicht die handfesten privaten Interessen absprechen wird.

Der gemeinderätliche Entscheid fiel wohlüberlegt: Bereits im Workshopverfahren wirkten zahlreiche Ämter der Stadtverwaltung mit. Der Schlussbericht zum Workshopverfahren wurde dann sämtlichen Direktionen zur Vernehmlassung zugestellt. Zudem wurde ein Expertenbericht mit Stimmen aus den Bereichen Städtebau, Landschaftsarchitektur und Soziologie eingeholt. Das Stadtplanungsamt formulierte dann den Antrag, den der Gemeinderat nun gutgeheissen hat.

Die Eckdaten des Gemeinderatsbeschlusses

Es gibt eine Frage, die man leicht übersehen könnte. Vorausgesetzt, das EWB und die Marazzi Losinger AG seien keine gemeinnützigen Organisationen, die der Stadt Bern mit einer Arealentwicklung unter die Arme greifen möchten: Welche Interessen haben die beiden Firmen, die Kosten für diese Planungsarbeiten zu tragen?

Interesse 1: Das EWB muss den von der seinerzeitigen Gasproduktion verseuchten Untergrund des Areals sanieren und ist vom Kanton her unter Druck, die Arbeiten bis 2015 auszuführen. Die entstehenden Gruben sollen nicht einfach mit Aareschotter, sondern mit Liegenschaften aufgefüllt werden, damit so ein Teil der Kosten für die Sanierung der Altlasten gedeckt werden können.

Interesse 2: Der Gemeinderat hat einen Entscheid gefällt, der es sowohl für den Grundeigentümer als auch für den Totalunternehmer attraktiv macht, sich im Sinn einer Vorinvestition weiterhin zu engagieren: Auf dem Gaswerkareal soll neuerdings Wohnungsbau «in relevantem Mass» – konkret: im Umfang von bis zu 50000 Quadratmeter Bruttogeschossfläche – geprüft werden.

Hoppla! Gibt es nicht die Aareraumplanung vom Juli 2008, die vorsieht, dass «bauliche Verdichtung für Wohnnutzung» lediglich «entlang der Sandrainstrasse möglich» sein soll (S. 46) nach dem Grundsatz: «Der Aareraum ist eine durchgehende Parklandschaft vom Flusslauf bis zur Hangkante» (S. 42)? Und gibt es nicht die «Quartierplanung Stadtteil III» vom November 2012, die auf dem Gaswerkareal zwar die «Überprüfung von Wohnnutzungspotenzialen» vorsieht, aber eben auch das «Stärken städtebaulicher und freiraumplanerischer Entwicklungen sowie weiterer Entfaltung als hochqualifizierte Kultur- und Freizeitinfrastruktur» (S. 68)?

Mit dem politisch freihändig gefällten Entscheid folgt der Gemeinderat nun seinen Vorgaben zur Wohnbauförderung in den Legislaturrichtlinien 2013-2016. Mit der Zulassung von grob geschätzt 300 Wohneinheiten à 125 Quadratmeter ist es möglich, Private für die weitere Planung zu interessieren.

Zu Besuch bei Stadtplaner Mark Werren

In seinem Büro erläutert der Stadtplaner Mark Werren das weitere Vorgehen. Federführend organisiert nun die Losinger Marazzi AG die Testplanung. Strategisch leitet ein Lenkungsausschuss, in welchem unter anderen der Stadtplaner, der Liegenschaftsverwalter und (ab Anfang 2014) der neue Stadtbaumeister vertreten sind. Nach dem Vorschlag dieses Lenkungsausschusses werden ein bernisches, ein schweizerisches und ein internationales Planungsteam eingeladen, in einem «diskursiven Verfahren» – also nicht unter Wettbewerbsbedingungen – gemeinsam zu arbeiten.

Neben dem «Standard Nachhaltiges Bauen Schweiz», der Forderung nach «qualitativ hochstehendem und identitätsstiftendem Freiraum» sollen «optional» auch die 50-Meter-Schwimmhalle und das Jugendzentrum Gaskessel in die Planung einbezogen werden. Ziel ist ein «Richtprojekt», das dem Gemeinderat als Basis für den Planerlass dient, der wegen der neuen, nun mehrheitlichen Wohnnutzung zwingend dem Volk vorgelegt werden muss. Für die Realisierung des beschlossenen Projekts wären dann später ebenfalls zwingend Architekturwettbewerbe durchzuführen.

Mark Werren sagt: «Ich hätte diese Arbeit als Stadtplaner gerne selber gemacht.» Er sieht aber drei Gründe, «warum der Gemeinderat nachvollziehbar anders entschieden hat»:

• Das Stadtplanungsamt hat zu wenig personelle Ressourcen. – Hinter diesem Argument steckt eine alte Geschichte: Schon Werrens Vorgänger Christian Wiesmann ist im Stadtrat mit dem Budgetantrag für die Ausarbeitung eines neuen Stadtentwicklungskonzepts respektive die Planung eines neuen Stadtquartiers viermal hintereinander gescheitert und hat danach gekündigt, weil er, so Wiesmann, «Stadtplanung ohne strategische Stadtplanung» nicht mehr habe verantworten können. Es scheint der politische Wille des Berner Parlaments zu sein, das Stadtplanungsamt von seiner Arbeit über das Tagesgeschäft hinaus möglichst fernzuhalten.

• Der Gemeinderat ist der Meinung, es sei vertretbar, dem Grundeigentümer «Energie Wasser Bern» als stadtnahem Regiebetrieb weiterhin die Federführung zu überlassen.

• «Die Marazzi Losinger AG hat auf eigenes Risiko planerische Vorleistungen gemacht, die das EWB und nun auch den Gemeinderat nutzen möchten.» In dieser Situation mit der Evaluation eines neuen Entwicklers zu beginnen, würde Zeit brauchen, die es nicht gibt, wenn das Areal bis 2015 saniert und bei dieser Gelegenheit die entstandene Grube überbaut werden soll.

Journal B bleibt dran.

Aktuell

Zum Projekt

 

Die Website «Textwerkstatt Fredi Lerch» versammelt journalistische, publizistische und literarische Arbeiten aus der Zeit zwischen 1972 und 2022, ist abgeschlossen und wurde deshalb am 15. 1. 2024 zum zeitgeschichtlichen Dokument eingefroren.

Vorderhand soll die Werkstatt in diesem Zustand zugänglich sein, längerfristig wird sie im e-helvetica-Archiv der Schweizerischen Nationalbibliothek einsehbar bleiben. Teile des Papierarchivs, das für die vorliegende Website die Grundlage bildet, sind hier archiviert und können im Lesesaal der Schweizerischen Literaturarchivs eingesehen werden.

 


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