Gotthelf-Edition (V): Jetzt stellt die Politik Fragen

Nach zehn Jahren sind an der Universität Bern zehn der angekündigten «mindestens» 67 Bände der historisch-kritischen Gesamtausgabe Jeremias Gotthelfs (HKG) erschienen. Der einzige für dieses Jahr vorgesehene Band, die «Predigten 1827-1830», sollte im Sommer erscheinen, ist weiterhin «in Vorbereitung» und soll nun im Februar 2015 herauskommen. Statt Büchern werden Probleme öffentlich. Allerdings erfährt man von ihnen bloss gerüchteweise. Informiert wird nicht.

Die drei Knackpunkte des Projekts

• Sicher ist: In einem Machtkampf hat im Frühling der Privatdozent Christian von Zimmermann die Professorin Barbara Mahlmann-Bauer ausgebootet (Journal B berichtete). Mahlmanns Team arbeitet unterdessen nur noch reduziert. Auch der für «2014/2015» angekündigte Kommentarband zur pädagogischen Publizistik Gotthelfs wird deshalb mit Verspätung erscheinen.

• Nach der 6-Millionen-Anschubfinanzierung aus dem kantonalen Lotteriefonds und weiteren 6 Millionen des Nationalfonds suchen die Zuständigen unterdessen neues Geld. Auch wenn bisher die philologisch aufwendigsten Teile von Gotthelfs Werk bearbeitet werden, ist absehbar, dass für die verbleibenden «mindestens» 57 Bände ein nicht ganz kleiner zweistelliger Millionenbetrag gesucht wird. Der Nationalfonds hat klar gemacht, dass er die Edition nicht ausfinanziert. Es gibt Verhandlungen mit einem anonymen Sponsor. Am 21. Mai 2014 bestätigte Christoph Pappa, Generalsekretär der Universität, gegenüber Journal B: «Es ist tatsächlich so, dass eine Privatperson das Interesse gezeigt hat, die Gotthelf-Edition künftig zusätzlich finanziell zu unterstützen. In diesem Zusammenhang sind Verhandlungen im Gang. Wenn sie zu einem erfolgreichen Abschluss führen, werden wir auf jeden Fall darüber informieren.» Seither hat man nichts mehr gehört.

• Es stellt sich zudem die Frage, ob der Rest der «mindestens» 67 Bände überhaupt gedruckt werden soll: Die Dokumentation von Grundlagenforschung in Büchern ist ein Luxus; den Verkaufspreis pro Band setzt der Olms-Verlag mit bis zu 400 Euro astronomisch hoch an, verkauft werden pro Band wohl bestenfalls zweihundert Exemplare. Zwar hat man bereits 2005, anlässlich einer Gotthelf-Tagung, «mögliche Modelle für eine digitale Edition und für computerphilologische Arbeitsweisen angesprochen», so der Editionsleiter Christian von Zimmermann[1]. Aber erst nach sieben verlorenen Jahren nahm man im Herbst 2012 den Aufbau der Abteilung «Computerphilologie» in Angriff. Zurzeit werden Print- und Computerphilologie parallel betrieben, was die Edition weiter verteuert und verlangsamt.

Kurzum: Zurzeit macht die Gotthelf-Edition der Universität Bern den Eindruck, möglicherweise strategisch falsch aufgegleist worden zu sein, wegen Zerstrittenheiten und Personalführungsproblemen immer weiter in Verzug zu geraten und als finanzielles Fass ohne Boden in Zukunft von Geldquellen abhängig zu werden, über die die Öffentlichkeit nichts erfahren soll.

Die Interpellation von Béatrice Stucki

In dieser Situation wird die Edition zu Recht zum politischen Thema. In der Novembersession des Grossen Rates hat die Grossrätin Béatrice Stucki (SP) eine Interpellation eingereicht, in der sie der zuständigen Erziehungsdirektion (ED) fünf Fragen stellt:

1. Was weiss der Kanton über den ominösen Sponsor, dessen Identität nicht bekannt ist?

Bekannt ist bisher nur, was Pappa Ende Mai gegenüber Journal B gesagt hat, nämlich, «dass es sich bei der Person NICHT um Herrn Blocher oder eine mit ihm in Zusammenhang stehende Firma handelt».

2. Wie hoch ist der geleistete Betrag, über welche Frist ist das Sponsoring zugesagt und welche Bedingungen/Verpflichtungen wurden an das Sponsoring gebunden (auch hinsichtlich Stellenbesetzungen [Leitung, wissenschaftliche Mitarbeitende])?

Über welchen Betrag verhandelt wird, ist unbekannt. Dass im Rahmen der bisherigen Verhandlungen der anonyme Sponsor Personalpolitik zu machen im Stande war, zeigt die Wahl von Patricia Zihlmann-Märki zur Projekt-Stellvertreterin: Unverzichtbar geworden ist sie nicht als Gotthelf-Expertin (die sie nicht ist), sondern – was projektintern auch so kommuniziert wurde – als Türöffnerin zum Sponsor.

3. Ist die Qualität eines derart historischen Projekts gewährleistet, wenn die wissenschaftlichen Mitarbeitenden jeweils nur für wenige Monate angestellt werden, um am Projekt mitzuarbeiten?

An Universitäten ist es üblich, Doktorierte befristet auf höchstens sechs Jahre als «Postdocs» anzustellen. Was in anderen wissenschaftlichen Bereichen sinnvoll sein mag, ist im Bereich eines editorischen Projekts, das auf dreissig Jahre angelegt ist, unsinnig. Gute geschulte, aber dossierfremde Leute werden eingearbeitet und zu ExpertInnen gemacht – und wenn sie es dann sind, werden sie verabschiedet und neue Leute eingearbeitet. Das Unsinnige hat zwei Aspekte: Erstens verschlingt ein solches System sehr viel Geld, das nicht der Edition zugute kommt. Und zweitens entsteht so absehbar eine Struktur von allwissenden Herren und unwissenden Knechten, die zwar auf den emmentalischen Bauernhöfen der 1840er Jahre gebräuchlich war und insofern ins Thema einführt, aber ausserhalb des Elfenbeinturms (wo unterdessen trotz Gotthelf eine demokratische Ordnung bruchstückhaft realisiert worden ist) ein bisschen antiquiert anmutet.

4. Offenbar wurde eine interne Evaluation des Projekts durchgeführt: Hat der Regierungsrat Kenntnis von dieser Evaluation? Wer führte diese durch? Was sind die Ergebnisse, und wer wertete sie aus? Wer wurde wann über die Ergebnisse informiert?

Diese internen Evaluationen (es gab offenbar deren zwei), waren, soviel man weiss, der Hebel, mit dem der Machtkampf in der bisherigen Co-Leitung zugunsten von Zimmermanns entschieden wurde. Mehr ist nicht bekannt.

5. Erachtet es der Regierungsrat nicht auch als heikel (z. B. hinsichtlich wissenschaftlicher Unabhängigkeit), wenn der Generalsekretär der Universität und Leiter des Rechtsdienstes auch das Präsidium der Jeremias-Gotthelf-Stiftung innehat?

Gefragt wird demnach, welche Rolle der starke Mann in dieser Geschichte, Christoph Pappa, spielt.

Journal B zählt darauf, dass die Zuständigen kritisch nachfragen, bevor sie in Bernhard Pulvers Namen die Interpellation Stucki beantworten. Laut Martin Werder, Leiter Kommunikation der ED, ist sie im Gesamtregierungsrat für Anfang April 2015 traktandiert.

[1] Christian von Zimmermann: Geschichte, Ziele und Perspektiven der Historisch-kritischen Gesamtausgabe der Werke und Briefe von Jeremias Gotthelf (HKG), in: Marianne Derron/ders. [Hgg.]: Jeremias Gotthelf. Neue Studien, Hildesheim (Olms Verlag) 2014, 14-37, hier 21.

Aktuell

Zum Projekt

 

Die Website «Textwerkstatt Fredi Lerch» versammelt journalistische, publizistische und literarische Arbeiten aus der Zeit zwischen 1972 und 2022, ist abgeschlossen und wurde deshalb am 15. 1. 2024 zum zeitgeschichtlichen Dokument eingefroren.

Vorderhand soll die Werkstatt in diesem Zustand zugänglich sein, längerfristig wird sie im e-helvetica-Archiv der Schweizerischen Nationalbibliothek einsehbar bleiben. Teile des Papierarchivs, das für die vorliegende Website die Grundlage bildet, sind hier archiviert und können im Lesesaal der Schweizerischen Literaturarchivs eingesehen werden.

 


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