Das Erbe Gotthelfs bleibt Dorfgespräch

Läuft alles nach Plan, wird im Frühsommer 2012 im Pfarrhaus von Lützelflüh ein Gotthelf-Zentrum eröffnet. Dafür hat der bernische Grosse Rat in der Novembersession einstimmig einen Kredit von 3,27 Millionen Franken aus dem Lotteriefonds bewilligt.

Das Geld geht an Gotthelf-Stiftung, die einerseits das Gotthelf-Zentrum, andererseits eine Neuedition von Gotthelfs Werken realisieren will (siehe Kasten). Vorerst wird diese Stiftung nun dem Kanton Bern für 470000 Franken das Pfarrhaus samt Pfarrgarten abkaufen. Danach wird die sanierungsbedürftige Liegenschaft für 1,66 Millionen Franken renoviert und zum Museum umgebaut: Geplant sind im Parterre Ausstellungsräume, im Obergeschoss eine Viereinhalbzimmerwohnung, die vermietet werden soll, und im Dachgeschoss ein multifunktionaler Veranstaltungsraum. Für die Gestaltung des Umschwungs sind 230’000 Franken vorgesehen, für die Baunebenkosten weitere 286’000 und für die Ausstattung der Museums 325’000 Franken.

Damit wird der grossrätliche Kredit erschöpft sein. Folgekosten für den Kanton sind nach dem Willen des Grossen Rates ausgeschlossen.

Wunschdenken und Minimalvariante

Für den Betrieb des Gotthelf-Zentrums wird ein Trägerverein gegründet, dem die Stiftung, die Einwohnergemeinde, die Kirchgemeinde und der Verein Gotthelf-Stube angehören sollen. Dieser Trägerverein wird eine 40-Prozent-Geschäftsleitung wählen, die nicht nur den Museumsbetrieb garantieren, sondern zusätzlich Wechselausstellungen und unter dem Stichwort «Begegnungen mit Gotthelf» «eine Reihe vielfältiger Aktivitäten» entwickeln und durchführen soll.

Für die ersten drei Betriebsjahre ist dank Beiträgen von Gemeinden und Privaten ein minimales Budget für die Realisierung des Wunschkatalogs gesichert. Danach wird als Minimalvariante nicht ausgeschlossen, dass die Geschäftsleitungsstelle gestrichen und der Museumsbetrieb «durch freiwillige Helferinnen und Helfer aufrecht erhalten» wird. Gemeint sind hier die ehrenamtlichen MitarbeiterInnen des Vereins Gotthelfstube, die seit mehr als fünfzig Jahren im Pfarrhausspycher Gotthelf-Führungen anbieten. Käme es so, dann hätte der Kanton 3,27 Millionen Franken investiert, damit die bisherigen Führungen in neuen Räumen stattfinden können.

Erleichterung und Skepsis

Trotz dieses engen Betriebskorsetts freuen sich in Lützelflüh viele über den Entscheid des Grossrats. «Das Ja zum Gotthelf-Zentrum im Pfarrhaus entspricht dem Willen der Kirchgemeinde», sagt etwa Christian Spelbrink, der Kirchgemeindepräsident in Lützelflüh. Zwar gebe es nach wie vor skeptische Leute, aber die eigens gegründete Arbeitsgruppe Gotthelf-Zentrum habe im Dorf mit einer Aufklärungskampagne insbesondere die Bedenken zerstreuen können, man werde später für wiederkehrende Defizite aufkommen müssen. Und in der Kirchgemeinde sei man darüber erleichtert, dass die kostspielige Sanierung des Pfarrhauses auf diesem Weg habe geregelt werden können.

Skeptisch bleibt der Pfarrer von Lützelflüh, Stephan Bieri. «Für das Gotthelf-Zentrum sind in Lützelflüh die politischen und die gewerblichen Kreise», sagt er. Die Leute, denen er täglich begegne, sähen den Sinn des Zentrums nicht ein und fürchteten weiterhin Folgekosten. Er bedauert, dass die «baugeschichtliche Einheit» von Kirche, Pfarrhaus, Pfrundscheuer, Spycher und Friedhof durch die Umfunktionierung des Pfarrhauses in eine touristische Infrastruktur zerstört werde: Das Pfarrhaus werde zur Attraktion, der Garten zur Flanierzone. «Was tue ich zum Beispiel, wenn ich mit einer Trauergemeinde vor die Kirche komme und Touristinnen und Touristen die Situation fotogen finden?»

Für den Zuständigen der Kantonalen Denkmalpflege, Hanspeter Ruch, ist die «baugeschichtliche Einheit» gewahrt: Das vorliegende Umbauprojekt setze die Vorgabe, drei getrennte Geschossnutzungen zu erreichen, «sehr schonend» um; Zusatzbauten würden so zurückhaltend wie möglich realisiert, die Erschliessung nehme Rücksicht auf das Ensemble. Ob eine der Geschossnutzungen ein Museum betreffe oder zum Beispiel Amtsräume für das kirchliche Leben, sei aus denkmalpflegerischer Sicht nebensächlich.

Was aber, wenn die Museumsnutzung des Umbaus tatsächlich zu Störungen des kirchlichen Lebens führt? Hierzu sagt Christian Spelbrink, auch andernorts würden kirchliche Infrastrukturen teilweise touristisch genutzt – er erwähnt das Würzbrunnenkirchlein in Röthenbach. «Die Kirchgemeinde wird über den Beitritt zum Trägerverein des Gotthelf-Zentrums abstimmen. Tritt sie bei, kann sie mitreden. Der allseits störungsfreie Betrieb wird eine Frage der Organisation und des Zusammen-Redens sein.»

 

[Kasten]

Gotthelf: Neuedition mit Lücken

An der Universität Bern arbeitet man seit 2004 an einer historisch-kritischen Neuedition von Jeremias Gotthelfs Werken. Ein Projektteam unter Professor Barbara Mahlmann und Privatdozent Christian von Zimmermann will innert dreissig Jahren im Olms-Verlag (Hildesheim) voraussichtlich 67 Bände herausbringen.

Die ersten Bücher erscheinen – rechtzeitig zur Eröffnung des Gotthelf-Zentrums –­ im Frühsommer 2012, voraussichtlich werden es die Text- und Kommentarbände zur politischen Publizistik und zu den Kalendergeschichten Gotthelfs sein.

Ratlos ist zurzeit nicht nur das Projektteam bei folgendem Problem: Ein Nachfahre Gotthelfs, Christoph von Rütte, weigert sich, der Forschung den Gotthelf-Nachlassteil, der in seinem Familienarchiv liegt, zur Verfügung zu stellen. Gesperrt sind, so von Rütte, rund «zwei- bis dreitausend Briefe, vermutlich auch Predigten, Notizen und literarische Fragmente». Diese schwer nachvollziehbare Sperrung schmälert den Wert des epochalen Projekts von vornherein.

Aktuell

Zum Projekt

 

Die Website «Textwerkstatt Fredi Lerch» versammelt journalistische, publizistische und literarische Arbeiten aus der Zeit zwischen 1972 und 2022, ist abgeschlossen und wurde deshalb am 15. 1. 2024 zum zeitgeschichtlichen Dokument eingefroren.

Vorderhand soll die Werkstatt in diesem Zustand zugänglich sein, längerfristig wird sie im e-helvetica-Archiv der Schweizerischen Nationalbibliothek einsehbar bleiben. Teile des Papierarchivs, das für die vorliegende Website die Grundlage bildet, sind hier archiviert und können im Lesesaal der Schweizerischen Literaturarchivs eingesehen werden.

 


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