Palaver über Schurni-Ethik

Kennst du Spartacus? Genau, den Führer im dritten römischen Sklavenkrieg. Weisst Du, warum es damals zum Krieg gekommen ist? Es war so: Spartacus, desertierter und wieder eingefangener Soldat der römischen Armee, brachte es in Capua zum Fechtlehrer an einer Gladiatorenschule. Deshalb lud ihn die dortige «Initiative freier Römer für saubere Gladiatorenkämpfe» ein, bei der Formulierung einer ethischen Erklärung die Sicht der Gladiatoren einbringen. Er machte mit und forderte, dass Gladiatoren besiegte Gegner nicht mehr töten müssten. Er erreichte: Die Nägel, mit denen man kampfunwillige Gladiatoren disziplinarisch kreuzigte, sollten von nun an «nach Möglichkeit rostfrei» sein. Nach dieser Erfahrung hatte Spartacus genug von der Ethik. Er rief den Aufstand aus und lehrte die Römer das Fürchten, bevor er 71 v. u. Z. die Entscheidungsschlacht bei Brundisium verlor und an der Strasse nach Capua mit extrafrisch geschmiedeten Nägeln gekreuzigt wurde.

Du siehst, ethische Erklärungen haben es in sich. In den nächsten Wochen wirst du – egal, ob du Mitglied des VSJ, des SSM oder der Comedia bist – die Unterlagen für den Berufsregistereintrag 2003 erhalten. Man wird dir mitteilen, dass du dich von nun an «Medienschaffende/r BR» nennen darfst unter der Bedingung, dass du die beigelegte «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» des Schweizer Presserats unterschreibst.

Eine kleine Erpressung, klar: Wer nicht unterschreibt, erhält den Eintrag nicht. Drum wirst du unterschreiben. Zum Beispiel, dass die «Verantwortlichkeit gegenüber der Öffentlichkeit» Vorrang habe vor jener gegenüber den «Arbeitgebern». Aber auch, dass du «journalistische Weisungen nur von den hierfür verantwortlich bezeichneten Mitgliedern» der Redaktion entgegennimmst. Damit anerkennst du das Weisungsrecht von Leuten, die von jenen «Arbeitgebern» abhängig sind, denen du weniger verantwortlich sein sollst als der Öffentlichkeit. Ergeben sich daraus ethische Dilemmata, wirst du dich im Zweifelsfall für den Zahltag entscheiden. Denn motzen gegen Weisungsberechtigte könnte unethisch sein, und der Artikel 14 des neuen «Reglements über den Schweizer Presseausweis und das Berufsregister der journalistisch tätigen Medienschaffenden BR» sieht vor, dass «schwerwiegende» oder «wiederholte Verletzungen» der «Erklärung» zur «Löschung des Eintrags im Berufsregister» führen sollen.

Zu sowas zwingt mich meine Berufsorganisation, schimpfst du? Sie hatte eben andere Prioritäten. Der einheitliche BR-Ausweis ist für die Branche ein überfälliger Fortschritt. Dagegen ist der ethische Wurmfortsatz des Handels eine quantité négligeable. Die harten Diskurse in der Medienbranche sind sowieso jene des Geldes und des Rechts, wie überall. Sie werden zwischen Kapital- und Arbeitgebern, Richtern und – bestenfalls – den Berufsorganisationen geführt. Dagegen ist der Diskurs über Schurni-Ethik butterweich – sinnvollerweise zwanglos nur unter Gleichberechtigten zu führen. Dass man uns für den BR-Eintrag zur Unterzeichnung einer «Erklärung» zwingt, hat mit Berufsethik deshalb weniger zu tun als mit standespolitischer Abschottung. Bloss wogegen?

Gegen oben oder gegen aussen oder gegen unten. – Gegen
oben? Nein. Eher werden die Verleger die «Erklärung» in ihrem Sinn umformulieren dürfen. Dass sie das tun wollen, haben sie bereits angekündigt – als Gegenleistung dafür, dass sie den überlasteten Presserat finanziell unterstützen sollen. Gegen aussen auch nicht. Im neuen Reglement über das Berufsregister hält Artikel 7 fest, dass nicht mehr 80 Prozent des Einkommens aus journalistischer Tätigkeit, sondern nur noch «seit mindestens 2 Jahren 50 %» Voraussetzung für den BR-Eintrag sein sollen. Damit öffnen sich die Schurni-Organisationen Richtung Public-Relations-Industrie. Vorstellbar, dass der «Medienschaffende BR» eines Tages zum «Medienschaffenden PR» wird.

Also Abschottung gegen unten? Ethik als Jargon, der dazu dient, Interessengegensätze schönzureden, entfaltet ihre Wirkung zuungunsten der Abhängigen. Die elf Schurni-Pflichten, die wir notgedrungen unterschreiben werden, sind frischgeschmiedete rostfreie Nägel: Irgendwer wird sie irgendwann irgendwem reinhauen.

PS. Spartacus ist übrigens nicht gekreuzigt worden. Er fiel bei Brundisium. Lügen ist unethisch.

Aktuell

Zum Projekt

 

Die Website «Textwerkstatt Fredi Lerch» versammelt journalistische, publizistische und literarische Arbeiten aus der Zeit zwischen 1972 und 2022, ist abgeschlossen und wurde deshalb am 15. 1. 2024 zum zeitgeschichtlichen Dokument eingefroren.

Vorderhand soll die Werkstatt in diesem Zustand zugänglich sein, längerfristig wird sie im e-helvetica-Archiv der Schweizerischen Nationalbibliothek einsehbar bleiben. Teile des Papierarchivs, das für die vorliegende Website die Grundlage bildet, sind hier archiviert und können im Lesesaal der Schweizerischen Literaturarchivs eingesehen werden.

 


v11.5