VIII

 

Dass Wörter helfen würden, wer glaubte das?

Ich habe diesen Glauben schon früh verlorn:

Das Eigne schweigt. Mir wurde Sprache

Pappe im würgenden Hals und eitel

 

An einem Schultag: Mittag, die Glocke schrillt,

Vom Haken zerrn wir unsere Jacken flink

Und stürmen laut dem Ausgang zu. Dann

Stehn wir vorm Fussgängerstreifen, scherzend.

 

Ich weiss noch: Links von uns stand die Lehrerin

Der obern Klasse. Dunkel und gross und streng,

Das Fräulein Steiger. Was wir lärmten,

Hab ich vergessen. Doch arglos war es.

 

Als ich beim Mittagessen zu Hause in

Der Küche Suppe ass, ging das Telefon.

Der Apparat befand sich in der

Stube. Die Mutter nahm ab. Ich horchte.

 

Zu hören war nicht viel, weil die Mutter schwieg.

Nur zweimal, dreimal sagte sie «ja», sonst nichts.

Dann kam sie wieder in die Küche,

Böse, und forderte von mir Auskunft.

 

Warum ich das getan hätte, fragte sie.

Ich schaute dumm. – Ich solle nicht leugnen, denn

Man habe mich erkannt. Das Fräulein

Steiger sei sicher, ich sei’s gewesen,

 

Ich hätte ihr die Zunge herausgestreckt.

Das sei nicht wahr. Die Mutter: «Gibs zu!» Und ich:

«Das war nicht ich!» Es nützte nichts, der

Name des Fräuleins erzwang das Urteil,

 

Ich müsse mich entschuldigen gehn. Ich ging.

Vorm Haus der Lehrerin war ich Wut und Trotz.

Das Herz schlug wild als ich die Klingel

Drückte und dann ihre Schritte hörte.

 

Ich wollte sagen: Ich habe nichts getan!

Dann ging die Türe auf und die Lehrerin

Stand gross und streng und dunkel vor mir,

Grüsste und fragte mich kurz: «Was willst du?»

 

Ich wurde rot, entschuldigte mich. «Wofür?»

Sie schaute hart. Ich stotterte vor mich hin:

«Dafür, dass ich – dass ich die Zunge…»

«Ach», sagte sie, «warst dus also wirklich?»

 

Nun sprach sie vom verstockten Gewissen und

Nahm schliesslich die Entschuldigung lächelnd an.

Dann ging die Türe zu. Ich stand und

Würgte und würgte, den Hals voll Pappe.

 

Zu Hause kam man nicht auf den Fall zurück:

Die Schuld war klar und Sühne getan. Doch klein

Und sprachlos wurde mir das Eigne.

Sprache ist Macht, oder sie ist Rauschen.

 

[15-25.6. 1998; 4.4.2001]

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