II

 

[135]

fabel

 

lassowerfende feldgraue mäuse feldstechern

am rand der manege pflichtpipsend

nach undressiertem und ding

festzumachendem

 

die peitschenknallende schermaus

treibt menschengesichtiges

im sägemehlkreis

 

ketten an wundgescheuerten fussgelenken

rasseln von fortschreitender dressur

tonbänder brüllen den beifall

fleischfressender 

goldhamster

 

an einsam schaukelnden trapezen

registrieren hochsensible

fledermäuse ultrafeine

renitenzen

 

am frühstückstisch im betriebseigenen monitor

bemerkt der chef des unternehmens

– ein gebürtiger kater –

ein undressiertes

augenzwinkern

 

«noch» schnurrt er selbstvergessen

«noch –» und verträumt köpft

er mit dem messer eine

dreiminuten

maus

(7.1.1979; 3.6.1981; 24.12.1981)

 

[136]

während eines langen blicks

 

I

überfällige zeit wolkt schmutzig über

fassaden: unschädlich gemacht:

mit zangen und klammern

blockieren bauarbeiter

die grossen und die

kleinen zeiger

der turm

uhren

 

II

aus haushohen fenstern giert macht: der

wille der mehrheit reicht bis zum

nächsten atemzug: hinter

riesigen hauptpor

talen liegen

berge von

nichts

 

III

in den befestigten eckhäusern schweigen

die geschütze (morgen beginnt die

vergangenheit: aber welche?)

schwanhalsige violinisten

begehen zu ehren des

hausherrn zeit

lose kammer

musik

 

IV

auf fussgängerstreifen spielen kinder

verkehrstod: aus den supermärkten

der nachbarschaft karren die

mütter das ketchup: warum

steht ihr nicht auf?

 

[137]

V

schaufensterpuppen schreien vor angst:

der dekorateur meditiert über vagi

nalen orgasmus: eine doppel

patrouille schlen

dert achtlos

vorbei

 

VI

wahrsagerinnen lesen in den handlinien

elektronischer prothesen: soweit

das schweigen reicht

dauert die gegen

wart

(30.6.1981; 1.7.1981; 24.12.1981)

 

[138]

frühlicht

 

neben dem münsterturm hängt pflicht

bewusst und kalt die sonne:

wärmt sandstein

und trams

 

durch die leeren gassen ruft

ein alter mann am stock

den neuen fahrplan aus

 

gymnasiasten mit dem drittweltkriegblick

marschieren stramm im frühen licht:

sie schämen sich nächtlicher

pollution und reden

von geist

 

zweifellose schuhverkäuferinnen ziehen

sich an ihrer schminke aus dem

sumpf des tagtraums

 

ein torkelnder schreit nach dem bahnhof

und die passantin zieht empört

die einkaufstasche über

ihren kopf

 

im gleichschritt wälzt sich brüllend still

nichts entlang der malerischen

lauben pfeifen rudel von

briefträgern gläubig:

die adressen

stimmen

 

in die klaffenden tramgeleise stürzen sich

hoffnungsvolle kinder zu tode:

wie ärgerlich

(8.10.1981)

 

[139]

«es bewegt sich etwas»

 

instinktiv misstrauisch hätten sich die reglos

stehenbleibenden passanten fixiert:

als ein unbekannter in

den lichterlohen

jubelschrei

ausbrach

 

und hätten empört begonnen mit fingern aufeinander

zu zeigen: bis endlich zwei polizisten

in zivil eingeschritten seien

deren gezogene hand

feuerwaffen von er

fahrung mit unbe

rechenbaren

elementen

gezeugt

hätten

 

bevor die polizisten durch die selbstlose suche

nach dem feuergefährlichen schrei ruhe

und ordnung wieder hergestellt

hätten: habe ein unbeteilig

ter passant eine herz

attacke erlitten

 

er sei auf offener

strasse nieder

gesunken

 

mit verdächtiger ruhe hätten mehrere

tauben kotlassend auf erkern

und simsen die ausein

andersetzung

verfolgt

(7.10.1980; 17.12.1980)

 

[140]

lust

 

auf lebensfroh bepflanzten promenaden im

schatten weissbekerzter rosskastanien

wälzt sich ein putziges hunde

pärchen an den leinen

zerrend: treibt fell

atio und cunni

lingus

 

auf einer bank des städtischen verschönerungsvereins

sitzt mit übergeschlagenen beinen eine über

gewichtige dame: langsam kauend an den

crèmeschnitten auf ihrem schoss:

in den hüften sich unmerklich

wiegend pressend verschlei

erten blicks: auf den

pelzkragen tropft

schweiss

 

drüben im hellweissen licht vor den mannshohen sträuchern

hackt ein junger schlaksiger pickliger gärtner: träumt

mit zusammengebissenen zähnen taucht

ein ins gesträuch reibt seufzend um

hitze schämt sich des weisslich

verspritzten geschliers:

tritt zurück die hände

voll aufgelesenen

unrats

 

neben den zerrissenen leinen liegen

die lieblichen hunde sich leckend

blinzend ins licht: die überge

wichtige frau streicht lang

sam brosamen vom

schoss: der gärtner

hackt schneller

(30.6.1981)

 

[141]

markttag

 

entlang der roten gefängnismauern

erstreckt sich der

freie markt

 

folkloristisch aufgestellt verteilen hier verstümmelte

eingemauerte petitionsbögen gegen die tier

haltung in normkäfigen: die bei so

eingemauerten tieren zu ver

stümmelung führen

könne

 

grossherzige bauunternehmer – ihre frauen an goldener

leine spazierenführend – treten herzu: 

signieren wohlgefällig: für die di

versifikation des angebots von

normkäfigen kämpfen

sie seit jeher

 

dann schreiten sie weiter: plaudernd von der

freiheit als einsicht in die notwendig

keit verschwinden die duftenden 

paare langsam zwischen den

gemüseständen

 

vorbildlich schweigen die

backsteinmauern im

hintergrund

(29.9.1981)

 

[142/143: Illustration; 144]

horror vacui

 

da treten sie aus reichbeleuchteten schaufenstern

füllen strassen und gassen: fluten vorüber:

unterleiber+arme: schenkel+torsi

auf-+abschraubbare köpfe mit

erloschenen augen: wallen

den perücken: blinken

den porzellanzäh

nen: aufgeklebt

em schamhaar

 

auf den von fremdländischen zungen saubergeleckten

plätzen spielen sie fröhlichkeit: kopflose

körper schreiten langsam lustvoll

vorbei: drüben schreit grell

ein auffliegender kopf: die

flanierenden finger grei

fen keck zwischen

duftende

schenkel

 

eine kräftige schulter plaudert mit staunenden armen:

weist leutselig hinüber zum lichtvollen sand

stein: CURIA CONFOEDERATIONIS HE

LVETIVAE: brüllend vor vergnügen

trampeln füsse über den platz:

entlang schattender fassaden

führt das huschende

auge eine träne

spazieren

(9.9.1981; 24.12.1981)

 

[145]

hände entgleiten

 

I

schreiende winde stehen in den strassen

sprache knickt von den mün

dern als dürres

geäst

 

verlorene grussworte splittern

verletzend strassenrändern

entlang

 

hinter zur seite geschobenem vorhang

vereisend das auge des nachbarn

 

mutige sänger treten hervor mit

grünem gezweig: für augen

blicke trotzend den

schneidenden

böen

 

liebende hetzen aneinandergeklammert

vorbei spähend nach flüchtigem

windschatten (geflüster 

fliehenden atems:

blicke)

 

hände entgleiten

 

II

leergefegt strasse um strasse

winkel um winkel: stille

über verdorrtem

wort

 

verstummt treten aus überdauernden haus

eingängen hemdsärmelige

helden: mehrmalige

mütter: die au

gen vereist

 

[146]

stumm türmen sie das zermalmte

holz in den strassen

zu freudenfeuern

 

sprachlos steigt gerader rauch

zum himmel (und die winde

sehen gnädig an

das opfer)

 

im kreis ergreifen sie nun

ihre erkalteten hände

öffnen zum sang

ihre münder:

 

zischend entströmen ihnen

schreiende winde

(14./15.1.1981)

v11.5