[87: Titel; 88]
Bad Schinznach
Die Gänge und Kabinen stehen im Dienst
der effizienten Menschenerholung, und
die schmalen Schleusen minimieren
störende Durchlaufverzögerungen.
Schon schäln fabrikgewohnt sich die Knochen aus
dem Stoff in fleischgewordner Geschwindigkeit.
In Garderoben stapeln sich die
Stöcke, Prothesen und Krücken, während –
Im Tal stehn rückwärtsrauchend Industrie
kamine. Wind geht durch die Lagerhal
len. Förderbänder werfen Schrottgebir
ge in die fetten Felder. Drohend stehn
die Vatervogelscheuchen hinterm Zaun.
– im klammen Fleisch zur Dusche getrieben sich
ein unbewusstes Lächeln ereignet, und
im warmen Wasserstrahl sich Sehnen
dehnen und Muskeln in abgestandner,
vernutzter Haut. Ein Atmen durchfährt als Schreck
im Kachelgang zum Becken den weissen Rumpf.
Die Körper sinken schlaff entlang der
hellen Geländer hinab ins Wasser –
An Vaters Zaun sehn scheue Kinder auf
die Schrottgebirge in den Feldern. Von
den Förderbändern weht ein steter Wind,
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und rückwärtsrauchend ragen Industrie
kamine drohend durch das fette Tal.
– und nackte Schemen schieben im Dampf sich fort
ins Freie. Vorwärts trägt sie dort im Kreis
der Düsendruck des Aussenflussbads.
Freier als Sonntag will Gott sein Tier nicht.
Fabrikgewohnter schmiegt sich das Fleisch ins Hemd.
Die Schleuse weist den einzigen Weg zurück
dem hellen Ausgang zu, und grüner
liegen die Wiesen im Sommerregen.
(1993; die eingezogenen Stophen in der Druckversion in Blocksatz)
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naturpark
I
die milzbranderreger aus friedensfermentern
und weithin zerstiebendes aflatoxin
erscheinen im zielgebiet den regimentern
als tröstliche wolken die heimatwärts ziehn
der tödliche atem aus fährensystemen
der inkubation fällt die liebenden an
wirft tod in den tag und nacht um die schemen
aus fieber und schüttelfrost blutung und wahn
an weltkonferenzen entstehn konventionen
die strengstens die ächtung der gifte betonen
die friedensexperten beklatschen zuletzt
den ratifizierten papierstoss und gehen
in ihren labors nach dem rechten zu sehen:
in friedensfermentern ist tod angesetzt
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II
ionenwerfer gott am grund der spalten
der durchs rohr als wasser sich ergiesst
der als sauerstoff den riss durchfliesst
um den werkstoff ätzend zu verfalten
gott am rissgrund frisst sich ins getriebe
sauert nach und nach das wasser ein
bricht durch hydrolyse haarrissfein
unter spannung das metallgefüge
sanft durchdringt das eingeschlossne wasser innenwände
will durch stahl und steuerstab stets neue strahlenbrände
gott: warum bist du die spannungsrisskorrosion?
neue form entsteht wo spannung alte formen trennte
funktionierendes zerbrach in offene fragmente
immer wächst das fremde aus der starren tradition
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III
die fehlfunktionen pflanzen sich verdeckt
entlang zentraler nervenbahnen fort
der angriff aus viral verdrehtem wort
setzt im system den tödlichen infekt
mit gegengift geimpfte hirne ruhn
in feuerwällen: jedoch irritiert
der feind im grossen codekrieg kämpft mutiert
im netz: wer anschluss sucht ist nie immun
infokalyptisch droht dem wesen so
ein digital entstandner virenzoo
der für vermehrten schutz der software wirbt
und wenn die hardware in der brust als scherz
den druck erhöht dann zappelt bloss das herz
des automaten der den netztod stirbt
(1991/1994/2004)
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Auf der Produktionsstrasse
Lebenumschliessend das Rollwerk zum Tod.
Fahrende Marionetten: verzweckt,
bahnengebannt durch Ereignisverbot.
Selten schon: schlechtläufig, softwaredefekt,
mit Fehlern im Code.
Werden die Bänder mit Fleisch verstopft: Stau.
Roboter stehen zum Putzen bereit,
spritzen als Dreck aus dem Maschinenbau
erbgutentzifferte Ausschüssigkeit:
Sie säubern genau.
Fehlerlos wird das Humankapital
genomgesteuert zu Bandenergie.
Subkutan ‘Luegit vo Bärgen und Tal’:
Konditionierungen mittels Magie
als Arbeitsfanal.
(1996)
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zweite hymne an die menschheit
die ernste stunde hat geschlagen
am horizont ersteht im ersten licht
als zarte geistgestalt vor allen plagen
der mensch an sich und tritt in das gedicht
der stundenruf verhallt und in die stille
in diesen hymnischen erwartungsraum
tritt dieser mensch als makellose hülle
umflort von schöpfungslicht und laborflaum.
dies hüllenlos geschlechtsneutrale
dies nie vollendete naturprodukt
das ich mit überzeitlichkeit bemale
das nicht vor geilheit nicht vor schmerzen zuckt:
der mensch der nicht aus blut und knochen wäre
und als idee die kirchen füllt – ist das gewand
das oft ein gott sich umwirft – ist schimäre
die sich auch friedrich hölderlin erfand
schon fassen dich die lebenskrallen!
streif ab die haut die doch zerreissen muss!
lass deine rasch zerschlissne hülle fallen
schau hinter deinen brustbeinreissverschluss!
dort sitzt ein zwerg im bleichen rippengitter
dort lebt er in der roten innerei
dort west er: gott im bauch und schon betritt er
die zeile acht in dieser strophe drei
schau her: in deinem thorax kauert
ein wicht der neue zellen fabriziert
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und auf das bisher nie gedachte lauert:
von menschenzüchtung triebhaft fasziniert
umtürmt von alchemistischen geräten
erforscht der klandestine gottessohn
die heterozygoten und gameten
zur dns-rekombination
er züchtet nutzungsembryonen
er schmilzt das plastillin der gene ein
zu neuen varianten und zu klonen
mit gottgewollt genetischem design
dem nicht-perfekten droht ein schnelles töten
mit seinem messer hält der wicht gericht:
es scheidet gute von defekten föten
und kennt die hölle und den himmel nicht
und sinkt der tag der fortschritt brachte
so schläft in seinem roten knochenhaus
und träumt ins bisher nie gedachte
der architekt des guten menschenbaus
da solche bilder in der nacht zerfliessen
obliegt es dem verfasser des gedichts
den brustbeinreissverschluss wieder zu schliessen
denn ohne ordnung sind wir menschen nichts
und so erscheint hiermit aufs neue
(vergleiche strophe eins) der mensch an sich
zwar ist die wiederholung ärgerlich
doch klingt nun das motiv mit neuer weihe:
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schau diese konstruierten muskelspiele!
schmeck diesen endgelösten zungenkuss!
greif diese kunstnatur aus einem guss!
fühl diese nachgebauten lustgefühle!
das wesen der humangenetik
das hier verdichtet zur debatte steht
vollendet nicht die menschliche gestalt
sie ist eugenisch-technische gewalt
und durchgriff auf die subjektivität
dagegen hilft kein glaube an die ethik
und pfaffenhoffnung auf moral ist tand
gott hilft nicht uns: uns hilft nur widerstand
ein zwischenfall in linken zungen!
verzeih den misston hier im hymnenklang:
dies plötzlich ungesungen ernstgemeinte
dies wahr gesagte das die schönheit nimmt:
dies drohen das das publikum verstimmt
das sich doch schon im ton der hymne einte
wär dichtung nicht, wär nicht auch dieser sang
um seiner formvollendetheit gesungen
sonst wärn die verse nichts als themen
es würden ton und bilder relativ
dahergesagt ist jedes wort naiv
und text verpufft in seinen möglichkeiten
zur coda: schau das ideale schemen
das menschgesichtige ein kelch der grüsst
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in den der himmel seinen nektar giesst
in dem sich hölle und der himmel streiten
dermensch mitsei nemgott imbauch,
deral leseig netö tetund verwan delt
machthöl derlins gesang zuschall undrauch:
davon hatdie sepa rodie gehan delt
kadenz: versink du wichtbewohntes wesen
vergeh du fortschrittsfeiles knechtsgebein
der pallaksch-sänger ist am wahn genesen,
denn zur vollendung geht die menschheit ein
(1989/1991)
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Der Sohn des Spediteurs
«Solange leidende und empfindende Menschen
leben, dauert der Wille zur Kunst.»
(Paul Sacher, 1906-1999)
Nun, da du tot bist, will ich dir gedenken,
dir, Jahrhundertmäzen! Denn namenloser
nie kam einer hier zu Einfluss und Reichtum,
mächtiger Sacher.
Söhnen von Spediteuren ist ja sonst ein
andres Schicksal beschieden: harte Arbeit,
Mief und Bier am Stammtisch. Du aber wolltest
immer das Hohe,
hasstest die Lieder deiner Eltern, sehntest
dich nach grosser Kultur, nach Welt und Namen,
geigtest dich empor, im Kopf einen Traum: des
Bürgertums Taktstock.
So wurdest du zum Pionier, zum Gründer
von Orchestern und Chören, wurdest deren
Dirigent, begehrenswert für die reichste
Witwe von Basel.
Sie machte dich durch Heirat zum Konzernherrn
und zum Stiefvater ihrer beiden Kinder.
(Später hattest du mit anderen Frauen
eigene Kinder.)
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Dank deiner Aktienmehrheit dirigiertest
du nun auch eine chemische Fabrik und
viele Komponisten widmeten gerne
dir ihre Werke,
die du bezahltest aus dem kleinsten Teil des
Reichtums: Eine Substanz, die deine Forscher
fanden, war nicht nur ein Medikament, sie
ist eine Droge.
Dieses Geschäft war krisensicher und der
Markt wuchs stetig dank ärztlicher Verordnung.
Seither hattest du den Ehrgeiz, dein Geld mit
Geist zu versöhnen.
Was du nun wirktest, war dem Land gefällig.
Auch die Landesregierung gratulierte,
liessest du dich stilvoll feiern in spätern
Jahren: Erreicht war
alles und mehr. – Dein Geld wird auch den Nachruhm
mehren und dich zum Grossen der Geschichte
machen: Einfach ist die Lehre, und weithin
glaubt man sie gerne.
Einmal nur stand ich neben dir: Du schrittest
durch die Scola Cantorum, deine Gründung,
vor den beiden Bodyguards mit Pistolen
unter den Kitteln.
(1999)