An diesem Nachmittag steht der Nebel kalt
Vorm Fenster: weisser Januar. Hochgestützt
Mit Kissen sitzt in wollnen Decken
Grossmutter, hinfällig, doch mit wachem
Gesicht. Bedächtig löffelt sie warmen Tee.
Nun endlich scheint das quälende Wasser weg,
Die Lungen atmen wieder frei. Ob
Wirklichkeit, so unterbricht sie plötzlich
Das Plaudern ihrer Gäste, ob bloss ein Traum,
Das könne sie nicht sagen: An einem Fest
Sei sie gewesen letzte Nacht, als
Gast einer noblen und schönen Frau. (Mit
Dem Tod hat sie gekämpft, wie die Ärztin sagt.)
Mit andern Frauen habe sie stundenlang
Geredet. Schön sei das gewesen,
Dass sie bis morgens um fünf verweilt sei,
Obschon doch ihre Mutter zuhaus auf sie
Gewartet haben müsse, die ganze Nacht.
Und dann? «Dann ging ich doch nach Haus, das
Fest war zu Ende.» Die schöne Herrin
Sei mit den andern Frauen auf eine Fahrt.
Wohin? Sie schweigt, trinkt Tee, wiederholt dann nur:
«Auf eine Reise.» — Nacht kam. In den
Lungen stieg langsam das Wasser, tötend.
Die Gäste flohen heimwärts. Die Nacht war grell.
Voll Widerhall des Mediengedröhns, Kuwait
Der Schauplatz eines Kriegs um Öl. Das
Warten beim Frühstück. — Dann der Anruf.
[30.8.-18.9.1995]
Die Grossmutter ist am 17.1.1991 gestorben. Tags zuvor hat im Zweiten Golfkrieg der Kampf um Kuwait begonnen.