Länger leben dank Menzi Muck

Vor dem frisch verschneiten Eiger kauert sich der Forstwart hinter gefällte Stämme und drückt auf die Funkfernbedienung. Der Laufwagen am Tragseil setzt sich bergauf in Bewegung. Das Zugseil spannt sich. Ein Zittern geht durch die über zwanzig Meter lange Tanne, die im ruppigen Gelände verheddert und verkeilt liegt. Der Zug wird stärker. Ächzend rutscht der abgezopfte Stamm in die Falllinie. Einen Augenblick später schnellt er ästesplitternd als tonnenschweres Geschoss am Forstwart vorbei den Steilhang hinauf.

Die Gefahren im Holzschlag

Oben, vor dem Abladeplatz auf der Pfaffenegg, stoppt der Laufwagen – angehalten von der Zielautomatik des Mobilseilkrans. Jetzt übernimmt der Maschinist des Radbaggers die Bedienung, zieht den Stamm die letzten Meter auf den Abladeplatz herein. Während der Laufwagen bereits wieder den Hang hinunter verschwindet, packt er den Stamm mit den beiden Vorschubwalzen des Prozessorkopfs, schiebt ihn mit viereinhalb Tonnen Schub entlang der mächtigen Entastungsmessern, die Äste fliegen in alle Richtungen. Nach genau 5,2 Metern bleiben die Vorschubwalzen elektronisch gestoppt stehen, die Kappsäge senkt sich und geht durch das Tannenholz wie durch Butter. Der Trämel fällt zu Boden, bereits drehen die Walzen weiter entlang des restlichen Stamms, die Äste fliegen.

Richard Gasser ist der Geschäftsführer der Riebli Forst AG im Obwaldner Sachseln/Giswil, die in diesem Jahr von der Suva mit der Auszeichnung «Vorbildlicher Forstbetrieb» geehrt worden ist. Heute arbeitet er hier mit einem Dreierteam hoch über Grindelwald. Gefahrenmomente auf diesem Arbeitsplatz? «Beginnen wir mit der Holzerei», sagt er und zeigt in die weit hinunter auf einer Breite von achtzig Metern abgeholzte Schneise im Wald. Zwischen den hochgeschnittenen Baumstrünken, die in den kommenden Jahren im steilen Hang einerseits Schneerutsche verhindern, andererseits dem nachwachsenden Jungholz Schutz bieten sollen, stehen nur noch einzelne junge Tannen. Rund dreihundert bis zu 250 Jahre alte Bäume haben seine Arbeiter am Vortag hier mit ihren Motorsägen gefällt.

Nie allein im Wald arbeiten

«Bei der Holzerei muss mit allen Mitteln verhindert werden, dass jemand erschlagen wird», sagt Gasser. Wichtig sei zuerst die richtige Beurteilung des Baums: Lage im Hang, Eigenarten des Wachstums, beste Fällrichtung, Rückzugsweg. «Wenn einer am Fällen ist, gilt: Die anderen im Gefahrenbereich arbeiten nicht weiter, sondern beobachten, um je nachdem sofort reagieren zu können.» Und eine weitere wichtige Regel: «Waldarbeit ist immer Zweimann-Arbeit. Unsere Mitarbeiter haben alle einen Nothelferkurs absolviert.» Wäre einer allein im Wald, wenn er einen schwereren Unfall erleidet, so würden seine Überlebenschancen rapid sinken.

Nun wendet sich Gasser dem Abladeplatz zu: «Die Seile der Seilkrananlage hier oben sind mit zehn Tonnen gespannt.» Wichtig sei, dass man nicht am falschen Ort stehe, dass die Anlage genügend verankert sei und dass alternde Stahlseile rechtzeitig ersetzt würden: «Falls es ein Seil ‘putzt’, ist es zu spät.» Eine wichtige Sicherheitsvorkehrung betrifft den funkgesteuerten Seilkran. «Es muss technisch absolut unmöglich sein, dass in einem bestimmten Moment der Maschinist oben und der Forstwart unten im Hang gleichzeitig manipulieren können.» Zwar hätten die beiden Funkkontakt, aber würde wegen eines Missverständnisses der Laufwagen in dem Moment hangaufwärts bewegt, in dem der Forstwart das Stahlseil um einen neuen Stamm legt…

Schliesslich trägt selbstverständlich jeder Mitarbeiter eine Schutzausrüstung. Dazu gehören Helm, Gehörschutz und Gesichtsschutz, Handschuhe, eine signalfarbene Bluse für den besseren Sichtkontakt, Hosen mit Schneidschutzeinlage als Schutz vor der abgleitenden oder wegspringenden Motorsäge und robuste Schuhe.

Entasten: die gefährlichste Arbeit

Im Brandswald, auf der anderen Seite des Tals, ebenso hoch über Grindelwald, erntet gleichzeitig ein Zweierteam der Straumann AG aus dem solothurnischen Trimbach Holz: Durch den «Holzschlag» arbeitet sich langsam ein «Menzi Muck» abwärts – ein Ungetüm auf mächtigen Rädern und einem Greifarm, der mit einem Prozessorkopf ausgerüstet ist. Der Maschinist in der Fahrerkabine steuert eine etwa vierzig Zentimeter dicke Fichte an, schwenkt den Arm vor den Stamm, die Kappsäge setzt an, der Baum neigt sich innert Sekunden, die Vorschubwalzen packen zu, die Entastungsmesser gleiten der Rinde entlang durch die wegfliegenden Äste. In nur gerade zwei Minuten ist die Fichte zu sägereibereiten Trämeln verarbeitet. Diese werden später mit einem Seilkran zur Strasse hinaufgezogen und abtransportiert.

Eine Geländeschwelle unterhalb des «Menzi Mucks» ist ein Forstwart mit der Motorsäge am Vorfällen. Er legt alle vom Förster markierten Stämme mit über sechzig Zentimetern Durchmesser um, die von der Maschine nicht gefällt, wohl aber entastet und auf die Länge geschnitten werden können.

Diese «motormanuelle» Arbeit mit der Säge – insbesondere das Entasten im Gelände – ist bis heute der gefährlichste Teil der Holzernte. Schon in Jeremias Gotthelfs erstem Roman «Der Bauern-Spiegel» verliert die Hauptperson den Vater beim Entasten. Dieser Mann habe mit dem Beil «an einem steilen Abhang» auf hartgefrorenem Boden gearbeitet: «Als sie die gefällte Buche schneiteten [‘entasteten’, fl.], war sie wahrscheinlich auf dem glatten Boden nicht genug verstellt; als mein Vater einen Ast abhieb, schoss sie den Berg ab, drehte sich an einem Stock und ergriff den Vater, ihm beide Beine zermalmend.»

Sicher war die Arbeit mit Beil und Handsäge gefährlicher als später jene mit der Motorsäge. Trotzdem verzeichnete die Suva 1990 nach den Stürmen «Vivian» und «Wiebke» in einem Jahr 440 Unfälle pro 1000 Versicherte: ein Negativrekord. Damals startete die Suva die Kampagne «Wald – Sicherheit ist machbar!» Bis zum Jahr 2002 sank die Zahl der Unfälle immerhin auf 294 pro 1000 Versicherte.

Stagnation in der Holzwirtschaft

Zwischen dem 20. und dem 24. Oktober wurden in der Gegend von Grindelwald in vier Holzschlägen mit modernsten Methoden insgesamt 4500 Kubikmeter Holz gewonnen – allerdings ging es dabei um mehr als um die Holzernte. Die Arbeitsmethoden waren der praktische Anschauungsunterricht für die Teilnehmer eines Kurses, den das Amt für Wald des Kantons Bern organisiert hatte.

Der Revierförster Michael Gloor hat zwischen Zweilütschinen, der Grossen und der Kleinen Scheidegg rund 3500 Hektaren Wald – davon 80 Prozent Privatwald – im Auge zu behalten. Es sei nicht einfach gewesen, erzählt er, die in «Bergschaften» organisierten privaten Waldbesitzer davon zu überzeugen, die Holzschläge für den Kurs zur Verfügung zu stellen.

Seit zwanzig, dreissig Jahren nutzten diese «Bergschaften» ihr Holz immer zurückhaltender. Grund sei – neben Stürmen, Lawinen und den Borkenkäfern – der sinkende Holzpreis. Gloor: «Einerseits ist die Haltung der Waldbesitzer verständlich. Mit der Motorsäge allein kann man vielerorts nicht mehr kostendeckend arbeiten. Anderseits sind die Tendenzen und Trends auf dem Holzmarkt eindeutig: Die Preise werden sich in absehbarer Zeit nicht erholen, sondern eher auf tiefem Niveau stabilisieren.»

Die Folge dieser Entwicklung: Die Wälder sind überaltert und werden immer instabiler. Die Verjüngung wird wegen des Lichtmangels auf dem Waldboden verunmöglicht. In den letzten fünfzehn Jahren brauchte es Stürme wie «Vivian», «Wiebke» oder «Lothar», um immer mehr Waldbesitzer – vorwiegend im Mittelland – so stark unter finanziellen Druck zu setzen, dass sie nach effizienteren Holzernte-Methoden zu suchen begannen.

Fast rundum Fortschritte

Heute bieten verschiedene Forstunternehmen die mechanisierte Holzernte an. Damit diese auf grösserer Breite eingesetzt wird, braucht es aber weitere Überzeugungsarbeit. Vorab zwei Gründe sprechen für die Mechanisierung:

• Die neuen Verfahren ermöglichen bei optimalen Rahmenbedingungen ein kostendeckendes Arbeiten, weil die Effizienz um den Faktor 12 bis 15 steigt, die Kosten aber nur um den Faktor 6. Ein fiktives Rechenbeispiel des Oberförsters Rudolf Zumstein, Vorsteher der bernischen Waldabteilung 1 in Interlaken, ergibt folgendes Ergebnis: Während die Ernte von 700 Kubikmetern Holz in nicht befahrbarem Gelände bei traditionellem Vorgehen mit einem Defizit von rund 20 Franken pro Kubik verbunden ist, ergibt die gleiche Arbeit – mit Prozessorkopf und zielautomatischem Mobilseilkran ausgeführt – einen Reinerlös von rund 10 Franken pro Kubik.

• Die neuen Verfahren sind zudem sowohl ökologisch schonender, als auch weniger gefährlich als das traditionelle. Die motormanuelle Arbeit des Forstwarts im steilen Gelände wird durch Maschinenarbeit ersetzt und so auf ein Minimum beschränkt. Zudem sinkt die extreme körperliche Belastung, was die Risiken von Langzeitschädigungen reduziert.

Wieder kostendeckend, ökologischer, weniger gefährlich – also Fortschritte rundum? Nicht ganz. Wie überall macht Mechanisierung Arbeitskräfte überflüssig: «Obwohl die Forstunternehmer künftig noch mehr Arbeitskräfte beschäftigen werden, gehen durch die Mechanisierung insgesamt gesehen Arbeitsplätze verloren», schreibt die Eidgenössische Forschungsanstalt Wald, Schnee und Landschaft («Bündnerwald», 4/2002). Und um die verbleibende Arbeit zu machen, braucht es immer häufiger Forstwarte mit dreijähriger Ausbildung – dem ungelernten Waldarbeiter geht wegen fehlender technischer, elektronischer und ökologischer Kenntnisse die Arbeit aus.

Revierförster Gloor bleibt optimistisch: «Wenn wieder selbsttragend oder gar mit kleinem Gewinn gearbeitet werden kann, wird auch wieder mehr Holz gefällt. Es gibt unbegrenzt viel Arbeit: Unsere Wälder müssen dringend verjüngt werden. Wenn wir’s nicht tun, tut’s unkontrollierbar die Natur.»

Aktuell

Zum Projekt

 

Die Website «Textwerkstatt Fredi Lerch» versammelt journalistische, publizistische und literarische Arbeiten aus der Zeit zwischen 1972 und 2022, ist abgeschlossen und wurde deshalb am 15. 1. 2024 zum zeitgeschichtlichen Dokument eingefroren.

Vorderhand soll die Werkstatt in diesem Zustand zugänglich sein, längerfristig wird sie im e-helvetica-Archiv der Schweizerischen Nationalbibliothek einsehbar bleiben. Teile des Papierarchivs, das für die vorliegende Website die Grundlage bildet, sind hier archiviert und können im Lesesaal der Schweizerischen Literaturarchivs eingesehen werden.

 


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